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Drake (German Edition)

Drake (German Edition)

Titel: Drake (German Edition)
Autoren: H. D. Klein
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Victoria nahm das Tuch in die Hand und öffnete vorsichtig den Knoten. Leilas Glockenspiel, das sie am Hut getragen hatte, kam zum Vorschein. Victoria konnte es nicht fassen. Behutsam trug sie es zu einem niedrigen Tisch und kniete sich daneben. Die unzähligen Stängel leuchteten in allen Farben. »Wann hat sie es dir gegeben?«
    »Gegeben ist nicht der richtige Ausdruck.« Khartums Gesicht bekam einen merkwürdigen Ausdruck. »In dem Moment, als uns bewusst wurde, dass das Schiff nicht mehr zu retten war, hat uns Leila befohlen, mit den Shuttles zu fliehen. Genau genommen, hat sie uns mehr oder weniger angeschrien, das Schiff zu verlassen. Wir waren alle sehr verblüfft, weil wir Leila noch nie zuvor so emotional erlebt hatten. Wir waren erschrocken und ratlos. Sie trieb uns förmlich zur Schleuse hin. Die Hitze im Schiff wurde unerträglich. Plötzlich tobte ein regelrechter Feuersturm durch das Schiff. Uns blieb gar nichts anderes übrig, als die Shuttles zu benutzen, bevor auch sie zerstört wurden. Ich bin noch einmal zurück in die Zentrale, um Leila zu holen, aber sie sah mich nur mit zornigen Augen an. Sie rief mir etwas in ihrer Sprache zu, riss sich ihren Hut vom Kopf und warf ihn zu mir herüber. Er fiel zu Boden und hat dabei Feuer gefangen. Das Glockenspiel konnte ich jedoch retten.« Sie zögerte einen Moment. »Ich kann dir noch nicht einmal sagen, ob es als Geschenk gedacht war. Das Letzte, was ich von Leila hörte, sagte sie wieder in unserer Sprache. Sie rief: ›Gib es Victoria. Sag ihr, es kommt vom Kuhauge!‹«
    Victoria zwang sich zu einem Lächeln.
    »Ja, es sieht mehr nach einer Beschämung aus, weil ich sie heimlich ›Kuhauge‹ genannt habe. Ich glaube, das Einzige, was sie an mir beeindruckt hat, war meine Hautfarbe. Trotzdem, für mich ist es großartiges Geschenk. Ich kann es eigentlich nicht annehmen. Du hättest das Glockenspiel viel mehr verdient.«
    Khartum wehrte ab. »Nein, das ist schon in Ordnung so.« Sie lachte. »Aber es stimmt: Leila hatte wegen deiner Hautfarbe einen großen Respekt vor dir.« Nach einer Weile fügte sie noch hinzu: »Übrigens Respekt. Irgendwie fühle ich mich schuldig – Leila gegenüber. Nicht, weil ich sie nicht retten konnte, sondern mehr aus einer gewissen Respektlosigkeit ihr gegenüber.«
    Für einen Moment schwiegen sie beide. Keine von ihnen machte Anstalten, dieses Thema zu vertiefen.
    Schließlich meinte Victoria: »Ich glaube, Leila war gar kein Lebewesen, sondern eine organische Maschine, die uns die Altvordera untergejubelt haben.«
    Khartum nickte bedächtig. »Oder Leila selbst war die Altvordera. Wir haben das unter uns sehr oft diskutiert. Elisabeth Regina meint, dass Leila ihre Kästchen sogar je nach Bedarf hergestellt hat. Eine organische Maschine mit einem enormen Wissen, die die Cobo Ya Ya schließlich ganz alleine bezwungen hat.«
    Victoria betrachtete das Glockenspiel. »Manchmal war sie aber ganz schön gefühlsmäßig drauf. Und manchmal hat sie komisch gesprochen, wie in Versen.«
    »Sie hat aus ›Hamlet‹ von Shakespeare zitiert. Warum, weiß ich auch nicht. ›Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage.‹ Vielleicht hat ihr die Tragödie so gut gefallen, als sie all unsere Archive durchstöbert hatte. Die Basis von Leila – wenn ich es einmal so nennen darf – war die einfache Leila von Bartholomäus, aber der Rest bestand unter Umständen aus einer lebenden Maschine.« Khartum winkte ab. »Alles nur Vermutungen, wahrscheinlich sind wir ganz weit weg von der Wahrheit. Werfel wird es uns vielleicht einmal erklären können. Leila hat ihm heimlich einen Speicherblock zugesteckt. Seit seiner Rettung hat er sich nicht mehr blicken lassen. Jenaveve übrigens auch nicht.«
    Victoria lachte über das ganze Gesicht. »Ein Speicherblock und eine blonde Geliebte! Was kann es für einen Wissenschaftler wohl Schöneres geben?«
    Khartum fiel in ihr Lachen ein. Beide genossen minutenlang ihre Heiterkeit und toppten sich gegenseitig in Bemerkungen über das ungleiche Paar.
    Dann stand Victoria auf und fragte Khartum mit ernstem Gesicht: »Sag mal, dieses Glockenspiel ist doch bestimmt sehr wertvoll? Meinst du, ich darf es wirklich behalten?«
    »Natürlich, ich bin Zeuge, wie es Leila an dich ›vererbt‹ hat.«
    »Wahnsinn! Was ist es oder was hat es für eine Bedeutung?«
    »Das habe ich mich auch schon gefragt. Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung. Leila wird schon gewusst haben, warum sie es dir gegeben hat. Finde es also
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