Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drachenwächter - Die Prophezeiung

Drachenwächter - Die Prophezeiung

Titel: Drachenwächter - Die Prophezeiung
Autoren: Falko Löffler
Vom Netzwerk:
einem Brüllen, das von der Bergspitze weit über das Land hallte und Selds Ohren betäubte, stieß es zu.
    Doch bevor der Klauenhieb die Frauen zerriss, verharrte das Osertem mitten in seiner Bewegung. Sein Schrei erstarb, für einen Augenblick schien es zu Stein geworden zu sein, dann taumelte es nach hinten, hob seine Krallenhände und hielt sie an seinen Schädel. Die Laute, die nun aus seinem Maul drangen, waren Schmerzgeheul.
    Die roten Augen des Osertem blieben auf Seld gerichtet, und dieser glaubte, eine Anschuldigung in dem wütenden Blick zu sehen, als wäre er an den Schmerzen schuld, die das Wesen erleiden musste. Neue Wellen der Pein jagten durch seinen Körper, und das Osertem konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten, stürzte hintenüber und krachte mit dem Rücken in einen Berg aus Gold und Kleinodien.
    Die blauen Flammen erschienen wieder um seinen Körper herum und züngelten um den schwarzen Körper, dessen Gliedmaßen herumzuckten, als wollten sie das blaue Feuer vertreiben. Ein letztes Mal riss es seinen Rachen auf, um einen donnernden Schrei auszustoßen, dann wurde das Leuchten von einem Augenblick zum nächsten blendend hell, hüllte das Osertem in sich ein, und das Brüllen war wie abgeschnitten.
    Dann herrschte nichts als Stille.
    Seld hatte seine Hände vors Gesicht geschlagen, um nicht durch das blaue Licht zu erblinden. Nun nahm er sie herunter und blinzelte.
    Das letzte Licht der untergehenden Sonne berührte die Bergspitze. Im kuppellosen Saal der Drachenspitze, umgeben von Münzen und Geschmeide, lagen nebeneinander ein Dämon und ein Mensch. Beide regten sich nicht. Der Mensch war Talut. Er war nackt, und er hielt die Arme von sich gestreckt, als wollte er etwas über sich umarmen.
    »Ist er tot?«
    Mesala machte einen Schritt nach vorne, hatte die Stirn in Falten gelegt. Seld näherte sich mit ihr dem auf dem Boden liegenden Mann. Taluts Brust wurde von keinerlei Atmen gehoben oder gesenkt, nur seine Haare bewegten sich im Wind.
    »Ja«, sagte Seld. »Er ist tot. Als seine Macht verging, hat sich das Osertem wieder geteilt.«
    Der auf der Seite liegende Dämon erwachte zuckend zum Leben. Sein Kopf fuhr in die Höhe, und seine roten Augen funkelten die Umstehenden an. Als er Seld erblickte, fauchte der Dämon und stieß sich vom Boden ab, breitete die Schwingen aus.
    Seld hatte sein Schicksal nicht erfüllt, die Prophezeiung verhindert. Doch er hatte geliebte Menschen verloren, und sein Geist war leer. Er sah den Dämon auf sich zu rasen und wünschte sich nichts anderes als den Tod.
    »NEIN!« Seld wurde zur Seite gestoßen, und während er zu Boden taumelte, sah er, dass Mesala ihn weggestoßen hatte – sie würde an seiner Stelle von dem Dämon zerfetzt werden.
    Ein Glitzern schoss über Seld hinweg. Einen Augenblick, bevor der Dämon Mesala erreichte, wurde er von dem Obersten Drachen gerammt. Ein reißendes Geräusch ertönte, gefolgt von einem schmerzerfüllten Schrei. Der Dämon wurde nicht aufgehalten, doch er traf Mesala nicht. Seine rechte Schwinge schlug noch einmal, und ihre Spitze fuhr über Mesalas Gesicht. Dann trieb er hinaus über den Rand der Bergspitze, geriet für einen kurzen Moment ins Trudeln, fing sich aber wieder und erhob sich in die Luft. Mit einem letzten Brüllen wendete er sich ab und flog mit gleichmäßigen Flügelschlägen zu den Bergen, hinter denen das Meer lag.
    » Er kehrt hinter die Koan-Berge zurück «, sagte der Oberste Drache.
    »Also wird es immer Dämonen geben«, flüsterte Seld. »Immer.«
    Ein Stöhnen ließ ihn herumfahren. Mesala kauerte auf dem Boden, hatte die Hände vors Gesicht geschlagen, und ein dünnes Rinnsal Blut strömte zwischen ihren Fingern hervor. Seld eilte zu ihr, nahm vorsichtig ihre Hände herab. Ein tiefer Riss zog sich von der Schläfe bis hinab zum Mundwinkel.
    »Warum hast du das getan?«
    »Ich hätte nichts mehr, wofür sich zu leben lohnt«, antwortete sie ohne Zögern. Ihr Blick war klar, wach, voller Entschlossenheit.
    Seld schluckte. Sie hatte seine Gedanken ausgesprochen.
    »Ich habe dich lange genug leiden sehen, Seld Esan.« Dann quollen Tränen aus ihren Augen, und Seld beugte sich nach vorne, um sie zu umarmen.
    Der Dämon war zu einem Punkt am Horizont geworden.

Kapitel 23
Abenddämmerung
    Mesala entfernte sich von den anderen, die im Wald am Fuß der Drachenspitze nächtigten. Es hatte niemanden mehr in den Höhlen des Berges gehalten, sie alle hatten sich in der milden Nacht versammeln wollen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher