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Drachenwacht: Roman (German Edition)

Drachenwacht: Roman (German Edition)

Titel: Drachenwacht: Roman (German Edition)
Autoren: Naomi Novik
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Temeraire sie ihnen während einer Feierlichkeit auf dem Londoner Stützpunkt gestellt hatte. Dies hatte dazu geführt, dass Temeraire jede Illusion über das mathematische Grundverständnis der Menschheit hinsichtlich der Mathematik verloren hatte. Auch Reverend Salcombe hatte offenkundig diesem Teil seiner Ausbildung wenig Aufmerksamkeit gewidmet, denn er starrte zu Boden, errötete bis zur Spitze seines beinahe kahlen Schädels, drehte sich wutentbrannt zu Lloyd um und schnaubte: »Ich schätze, Sie haben das Tier dazu angestiftet! Sie haben diese Bemerkungen mit ihm einstudiert …« Vielleicht dämmerte ihm, wie unsinnig diese Anschuldigung war, als er einen Blick in Lloyds ungläubiges, verständnisloses Gesicht warf, denn sofort fügte er hinzu: »Jemand hat Ihnen diese
Worte in den Mund gelegt, und Sie haben sie an das Tier weitergegeben, um mich zu beschämen …«
    »Keineswegs, Sir«, protestierte Lloyd vergeblich, was Temeraire so verärgerte, dass er sich beinahe zu einem leisen, ganz leisen Röhren hätte hinreißen lassen. Im letzten Augenblick jedoch nahm er sich zusammen und knurrte nur. Trotzdem floh Salcombe hastig, und Lloyd rannte ihm hinterher und forderte aufgebracht sein Trinkgeld ein. Er hatte sich also dafür bezahlen lassen, dass Salcombe kommen und Temeraire anstarren durfte, als wäre er tatsächlich ein Zirkustier. Nun bereute Temeraire, dass er nicht gebrüllt oder wenigstens beide in den See geworfen hatte, was noch viel besser gewesen wäre.
    Doch dann legte sich sein Zorn, und er ließ den Kopf hängen. Zu spät war ihm der Gedanke gekommen, dass er vielleicht doch mit Salcombe hätte sprechen sollen. Lloyd wollte ihm nichts vorlesen und ihm auch nichts über das Weltgeschehen berichten, selbst wenn Temeraire so langsam und deutlich darum bat, dass er ihn verstanden haben musste. Stattdessen antwortete er zu Temeraires Verdruss: »Nun ja, wir wollen uns doch nicht über solche Dinge sorgen; es macht keinen Sinn, sich aufzuregen.« Salcombe, wie ignorant er auch sein mochte, hatte sich unterhalten wollen, und vielleicht hätte er sich sogar dazu überreden lassen, ihm etwas aus den letzten Gesetzesvorlagen oder aus einer Zeitung vorzulesen – oh, was hätte Temeraire nicht alles für eine Zeitung gegeben!
    Die ganze Zeit über waren die anderen schwergewichtigen Drachen mit ihrem Mittagsmahl beschäftigt gewesen. Der größte von ihnen, ein gewaltiger Königskupfer, spuckte ein gut durchgekautes, graues und blutbesudeltes Fellknäuel aus, rülpste lauthals und erhob sich in die Luft, um zu seiner eigenen Höhle zurückzukehren. Sein Abflug gab eine weite Fläche des Feldes frei, und die anderen Drachen drängten näher. Bei ihnen handelte es sich um Mittel- und Leichtgewichte, und auch einige kleinere Tiere vom Gewicht eines Kurierdrachens landeten, um sich ihren Anteil an Schafen und Rindern zu holen und sich Bemerkungen zuzurufen. Temeraire rührte
sich nicht, sondern kauerte sich lediglich noch ein bisschen weiter zusammen, während die anderen um ihn herum plauderten und spielten. Er hob nicht einmal den Blick, als ein Mittelgewicht mit schmalen, blaugrünen Beinen näher kam und unmittelbar vor ihm landete, um zu fressen. Lautstark knabberte das Drachenweibchen an einigen Schafsknochen.
    »Ich habe über die Angelegenheit nachgedacht«, teilte der Neuankömmling Temeraire nach einer Weile mit vollem Maul mit, »und in allen Fällen, wo der Winkel neunzig Grad beträgt – und ich nehme an, so wolltest du es zeichnen –, muss das Maß der längsten Seite eine Zahl sein, die mit sich selbst multipliziert gleich der Länge der beiden kürzeren Seiten, mit sich selbst malgenommen und addiert, ist.« Sie schluckte geräuschvoll und leckte ihre Lefzen sauber. »Eine nette Beobachtung. Wie bist du darauf gekommen?«
    »Bin ich nicht«, murmelte Temeraire, »es ist der Satz des Pythagoras. Jeder Gebildete kennt ihn. Mir hat Laurence ihn beigebracht«, fügte er hinzu, woraufhin er sich noch elendiger als zuvor fühlte.
    »Hmh«, antwortete das Drachenweibchen recht herablassend und flog davon.
    Doch am nächsten Morgen erschien es uneingeladen erneut vor Temeraires Höhle, stieß ihn mit der Nase an, um ihn aufzuwecken, und sagte: »Vielleicht interessiert es dich zu erfahren, dass ich eine Formel entdeckt habe, mit der man jede Gleichung lösen kann. Was sagt Pythagoras dazu ?«
    »Die hast du überhaupt nicht entdeckt«, sagte Temeraire, der ausgesprochen verärgert darüber war,
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