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Drachensturm

Titel: Drachensturm
Autoren: Torsten Fink
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entlanggingen, hörte sie die erregte Stimme ihres Onkels. Der Hochmeister war ungehalten und hielt Balian vor, dass er und sein Drache Behemoth während des Angriffs Befehle missachtet hätten. Sie fragte sich, ob Graf Tassilo die gleichen Vorwürfe zu hören bekommen hatte, schließlich war der Schwarze Nergal sein Drache. Aber mit ihm konnte der Hochmeister sicher nicht so hart ins Gericht gehen. War es das, was ihrem Onkel auf der Seele lag? Er hatte seine Sorgen kaum verbergen können, jedenfalls nicht vor ihr. Oder beunruhigte ihn noch etwas ganz anderes?
    Kemaq stand in einer kahlen Nebenkammer des Sonnentempels und wartete. Er wartete seit Stunden. Er hatte nach Qupay gefragt, und sein Bruder war zu ihm gekommen, hatte sehr ernst gewirkt und ihn dann in diese Kammer geschoben und befohlen – ja, befohlen –, dass er wartete. Er hatte auch nach seinem Meister gefragt, aber der war nicht zu sprechen. Also wartete Kemaq. Gelegentlich hörte er die schnellen Schritte von Läufern, die kamen und gingen, vermutlich alle mit wichtigen Aufgaben betraut. Nur ihn, ihn hatte man vergessen. Und während draußen die Welt in Flammen stand, saß er in einer staubigen Kammer und starrte Löcher in die Luft. Aus seinen trüben Gedanken wurde er durch einen Mann gerissen, der mit einem Reisigbesen begann, die Kammer zu fegen. Kemaq musste tief in Gedanken versunken gewesen sein, denn er hatte ihn gar nicht hereinkommen sehen. Der Mann war alt, sein Haar grau, aber sein hagerer Leib ungebeugt. Er war von ungewöhnlich heller Hautfarbe und groß, größer als Kemaq, der den Unbekannten nun mit Neugier musterte. Der Alte gehörte, da war er sich sicher, ebenso wenig zu den hier heimischen Yunga wie zum Sonnenvolk, und er trug sein Haar auch nicht nach Art der Steinleute. Gehörte er zu den Chimú, dem Muschelvolk, das einst die große Stadt Chan Chan gebaut hatte?
    Der Alte kehrte gemächlich über den nackten Steinboden, ohne Kemaq zunächst Beachtung zu schenken. Dann hielt er inne, erwiderte offen Kemaqs neugierigen Blick und fragte: » Chaski?«
    Kemaq fühlte sich ertappt. Er errötete und nickte. Die Frage war eigentlich überflüssig, denn er hatte das Muschelhorn und den Tragebeutel, die Zeichen seines Standes, aus der Hütte geholt, bevor er in den Tempel gekommen war. Er hatte insgeheim gehofft, die alte Mocto dort anzutreffen, denn die hatte schließlich zuerst die geheimnisvolle Weissagung erwähnt, aber sie war nicht dort gewesen. Der alte Tempeldiener nickte leichthin und kümmerte sich wieder um den Fußboden. Kemaq sah ihm zu. Er war eigentlich nur an den Feiertagen im Tempel, vielleicht war ihm der Alte deshalb bisher nie aufgefallen. Schließlich konnte er seine Neugier nicht länger zügeln: » Sag, Vater, wie ist dein Name? Ich habe dich noch nie hier gesehen.«
    » Aber ich sah dich, wenn auch nicht sehr oft im Tempel, Chaski«, lautete die abweisende Antwort. Kemaq stutzte. Der Alte war seiner Frage ausgewichen. Das steigerte seine Neugier. Er musste sich aber eingestehen, dass er selbst es an Höflichkeit hatte mangeln lassen. » Verzeih, Vater. Ich bin Kemaq, Himaqs Sohn. Ich hoffe, du erlaubst mir, nun auch deinen Namen zu erfahren.«
    Der Alte blieb wieder stehen und starrte Kemaq mit seinen überraschend hellen Augen an. » Melap werde ich genannt.« Dann kehrte er weiter.
    » Dies ist kein Name, wie ihn die Sonnenleute verwenden. Und auch bei uns im Steinvolk habe ich ihn noch nie gehört«, bohrte Kemaq nach einer Pause weiter.
    » Chachapoya«, beschied ihn Melap ruhig.
    Kemaq öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Chachapoya, dieser Name hatte immer einen geheimnisvollen, geradezu unheimlichen Klang für ihn gehabt. Die Wolkenmenschen, so wurden sie vom Steinvolk genannt – die Nebelkrieger, so nannten sie die Inka. Es hieß, sie verfügten über mächtige Zauber.
    » Ich dachte, die Chachapoya leben heute in der Nähe von Cuzco, Melap«, sagte er beinahe ehrfürchtig.
    » Nicht alle, Steinmensch«, lautete die knappe Antwort.
    Kemaq biss sich auf die Lippen. Hatte er den Alten verärgert? Die Chachapoya hatten früher auf den Berggipfeln oberhalb von Tanyamarka gesiedelt, der Regenstadt, der alten Hauptstadt seines Volkes. Aber genau wie die Steinleute waren auch die gefürchteten Nebelkrieger trotz ihrer Zaubermacht von den Inka unterworfen und umgesiedelt worden. Jatunaq hatte ihm erzählt, dass sie die tapfersten Krieger waren, die man sich vorstellen konnte, und sein großer Bruder
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