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Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis

Titel: Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis
Autoren: Licia Troisi
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wie er sie bis dahin kannte, ging unter, und sein Herr würde nicht mehr an seiner Seite sein. Tränen traten ihm in die Augen, und er ließ es geschehen, dass sie ihm über die Wangen rannen.
    Einen Moment lang schloss Thuban die Augen, bevor er mit letzter Anstrengung weitersprach. » Lange Zeit wird Nidhoggr niemandem mehr schaden können. Doch eines Tages wird er erwachen und der Kampf muss wieder aufgenommen werden. Dann müsst ihr zu allem bereit sein, auch dazu, euer Leben zu opfern.«
    » Ohne euch schaffen wir das niemals. Wenn ihr Drachen nicht mehr an unserer Seite seid, werden Nidhoggr und die anderen Lindwürmer siegen.«
    » Du irrst. Wir Drachen werden euch Menschen immer beistehen. Einige haben bereits einen passenden Körper gefunden, in dem sie ruhen werden bis zu dem Tag, an dem Nidhoggr das Siegel bricht und zu neuem Leben erwacht.«
    Lung erinnerte sich, was Thuban ihn einmal, als er noch ein kleiner Junge war und sie sich erst seit Kurzem kannten, gelehrt hatte:
    Manche Drachen besitzen die Fähigkeit, bevor sie sterben, ihre Seele in einen Menschen übergehen zu lassen. In diesem Körper schlummern sie dann, bis zu dem Tag, an dem sie die Kraft finden, wiederaufzuerstehen und in anderer Gestalt weiterzuleben.
    Ja, das war es, das mussten sie tun, dachte der Junge, während er dem Drachen fest in die Augen sah.
    » Bereits vier von uns sind nicht umsonst gestorben«, sprach Thuban weiter. » Sie sind verschmolzen mit den Körpern von vier Menschen, um in ihnen auf ihre Wiedererweckung zu warten.«
    Lung wischte sich die Tränen von den Wangen und blickte den Drachen entschlossen an: » Nehmt mich! Nehmt meinen Körper und lebt in mir weiter!«
    Der Drache reckte seinen Kopf zu dem Jungen vor und schwieg eine Weile.
    » Liebst du mich so sehr?«, fragte er dann.
    » Ja, mehr als alles andere auf der Welt.«
    » Du musst wissen: Wenn du mich in dir aufnimmst, lädst du dir eine schwere Bürde auf, die du an deine Nachkommen weitergeben wirst. Denn mein Geist wird auch auf deine Kinder übergehen, und auf die Kinder deiner Kinder. Das heißt, wenn der Tag der entscheidenden Schlacht anbricht, werden sie an meiner Seite gegen Nidhoggr kämpfen müssen. Verstehst du?«
    » Ja, aber ihr Drachen habt so lange für uns Menschen und diese Welt gekämpft, dass es nur recht ist, wenn wir euch etwas davon zurückgeben können«, erklärte Lung feierlich. » Es ist ein Geschenk, das mich stolz macht und das ich gerne an meine Nachkommen weiterreichen werde.«
    Seufzend schloss Thuban die Augen. » Wenn dies dein Wille ist, so lege deine Hand hierher.«
    Das ließ sich der Junge nicht zweimal sagen. Er schluckte die Tränen hinunter und legte die Hand auf den grünen Edelstein, der matt auf der Stirn des Drachen funkelte.
    Die menschliche Seele hat keinen bestimmten Platz im Körper. Sie steckt in den Händen des Menschen ebenso wie im Kopf oder den Füßen und ist gleichzeitig doch in keinem dieser Körperteile, erinnerte sich Lung wieder an die Lehre des Drachen. Doch die Seele eines Drachen ist in einem solchen Stein eingeschlossen. Er heißt » das Auge des Geistes « .
    » Wenn alles vollzogen ist und ich nur noch in dir weiterlebe, wird vom Weltenbaum und von Drakonien nichts mehr zu sehen sein. Doch hab keine Angst, sie werden sich nicht auflösen, sondern weiter in den unendlichen Weiten umherschweben, bis zu dem großen Tag, an dem sie auf die Erde zurückkehren. Dann werden die beiden Welten, die Welt der Drachen und die der Menschen, wieder miteinander verschmelzen.«
    Wehmütig dachte Lung an Drakonien, mit seinen prachtvollen Gebäuden aus schneeweißem Marmor und den breiten, belebten Straßen. In dieser Stadt war er aufgewachsen, nun würde er seine geliebte Heimat niemals wiedersehen. Er spürte, wie tiefe Trauer ihm die Brust einschnürte, doch bewahrte er in sich dieses vertraute Bild seiner Vergangenheit – und war bereit.
    Bald spürte er unter der Handfläche eine wohlige Wärme, die langsam seine Arme hinaufzog, weiter bis zum Herzen und in alle Glieder, ein Gefühl, wie Lung es noch niemals erlebt hatte. Ein tiefer innerer Frieden breitete sich in ihm aus, und ihm war, als öffnete sich nun plötzlich eine neue Welt.
    » Danke für alles, mein Sohn. Wenn in Zukunft viele Menschen so großherzig handeln wie du, ist noch nicht alle Hoffnung für diese Erde verloren.«
    Stockend und wie aus großer Ferne drangen Thubans Worte an Lungs Ohr. Und als er antworten wollte, spürte er
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