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Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis

Titel: Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis
Autoren: Licia Troisi
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reden, und alle machten sich über sie lustig.
    Sie beendete die morgendliche Spiegelkontrolle, indem sie sich ihre grünen Augen und vor allem den Leberfleck auf der Stirn, kurz über den Augenbrauen, ansah. Ein seltsames Mal: Es sah fast bläulich aus und stand leicht hervor. Vor einiger Zeit hatten die Nonnen mal wieder alle Heimbewohner zur regelmäßigen medizinischen Untersuchung gebracht, und da hatte sich der zuständige Arzt diesen eigenartigen Leberfleck ausgiebig angeschaut: » Hast du den schon lange?«
    Sofia hatte schüchtern genickt. Es verstand sich von selbst, dass sie Angst vor Ärzten hatte, und dieser hier schien auch noch etwas Schreckliches gefunden zu haben. Augenblicklich war sie überzeugt, von irgendeiner lebensbedrohlichen Krankheit befallen zu sein.
    » Und sah der immer schon so aus?«
    Sie nickte wieder.
    » Hm …«
    Das Brummen fasste Sofia als Todesurteil auf.
    » Achte mal drauf, wie er sich entwickelt …«
    » Ist es denn sehr schlimm?« Ihre Stimme zitterte bereits.
    Der Arzt lachte. » Nein, nein … Aber jeder Leberfleck sollte beobachtet werden. Wenn du feststellst, dass er sich vergrößert hat, sag jemandem Bescheid und komm in meine Sprechstunde, in Ordnung?«
    Seitdem schaute sie sich natürlich auch das Muttermal jeden Tag ganz genau an. Als sie sich endlich überzeugt hatte, dass alles in Ordnung war, ging sie unter die Dusche und genoss in vollen Zügen diesen letzten Moment des Alleinseins.
    Kurz darauf holte Giovannas fordernde Stimme sie ruppig in die Wirklichkeit zurück. » Was ist denn nun? Wie viel Wasser willst du denn noch verschwenden? Jetzt beeil dich mal, die Stunde fängt gleich an.«
    Sofia seufzte. Ihr Leben kam ihr vor wie ein Buch, das nur eine Seite hatte, die jeden Tag aufs Neue gelesen wurde. Sogar ihre Träume waren fast immer gleich. Von dieser weißen Stadt, die über den Wolken schwebte, träumte sie fast jede Nacht, nur mit kleinen Änderungen. Und jedes Mal wenn sie die Stadt vor sich sah, fühlte sie sich seltsam glücklich und traurig zugleich. Ohnehin war sie ein anderer Mensch, wenn sie von diesem langen Balkon aus auf die Welt zu ihren Füßen hinunterblickte, und das nicht nur, weil ihr im Traum nicht schwindlig wurde. Dort oben fühlte sie sich sicher, hatte den Kopf frei von Gedanken und Sorgen und war ganz in ihrem Element, als wäre diese Stadt ihr eigentliches Zuhause, der Ort, wo sie wirklich hingehörte.
    Sie schlüpfte in Pullover und Strümpfe und hastete, immer zwei Stufen auf einmal, die Treppe hinunter. Unten im Speisesaal hätte sie fast Giovanna über den Haufen gerannt, die ihr mit Milchkaffee und Croissant auf einem Tablett entgegentrat. Im Saal war es vollkommen still, die Bänke standen schief, verschoben von den Kinderhorden, die dort gefrühstückt hatten, der lange Tisch war mit schmutzigen Tassen voll gestellt und mit Krümeln übersät.
    » Diesmal kennt Schwester Prudenzia keine Gnade. Und ich hab auch kein Mitleid mehr mit dir«, schnaubte Giovanna.
    Sofia ging nicht darauf ein, trank nur in einem Zug den Milchkaffee aus, griff rasch zum Croissant und war schon unterwegs in ihre Klasse.
    Kaum hatte sie den Kopf zur Tür hineingesteckt, sah die Heimleiterin sie erbost an. Es war unglaublich, aber so ein Blick genügte, um die Temperatur im Raum buchstäblich sinken zu lassen. Schwester Prudenzia war nicht mehr die Jüngste, doch ihr Körper war immer noch biegsam und gerade wie eine Gerte. Wie so oft hatte sie die Hände unter ihrer schwarzen Kutte verborgen und die Augenbrauen zu einem Ausdruck feierlicher Strenge zusammengezogen. Wenn sie wirklich zornig war, hob sie eine Braue leicht an, und schon schlugen alle die Augen nieder. Unter ihrer schwarz-weißen Haube schaute nicht ein einziges Haar hervor und sogar die Falten auf ihrer Stirn verliefen fast diszipliniert gerade und parallel. So diszipliniert, wie sie es auch von sich selbst und allen anderen im Waisenhaus verlangte.
    Jetzt warf sie einen Blick auf die Uhr mit dem schwarzen Lederarmband an ihrem Handgelenk. » Zwanzig Minuten«, sagte sie.
    Sofia wusste, dass sie es diesmal zu weit getrieben hatte. Am liebsten hätte sie sich in Luft aufgelöst.
    » Offenbar willst du nicht zur Vernunft kommen und bestehst also starrköpfig darauf, dich weiter so ungebührlich zu benehmen.«
    » Es tut mir leid …«, murmelte Sofia mit kaum vernehmlicher Stimme, während ihre Ohren heiß und ihr Gesicht rot wurde.
    Schwester Prudenzia hob eine Hand und augenblicklich
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