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Drachenlord-Saga 03 - Das Lied des Phönix

Drachenlord-Saga 03 - Das Lied des Phönix

Titel: Drachenlord-Saga 03 - Das Lied des Phönix
Autoren: Joanne Bertin
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merkwürdig getröstet. Dann hörte sie: »Nur noch ein wenig. Ein klein wenig mehr! Noch einmal pressen, meine tapfere Herrin – ich kann den Kopfsehen!«
    Shei-Luin holte tief Luft und preßte mit den letzten Spuren von Kraft. Es würde das letzte Mal sein. Sie konnte nicht mehr.
    Die Pilger warfen sich flach auf den Boden, bedeckten die Köpfe mit den Händen und jammerten entsetzt. Die Tempelwachen rannten auf sie zu. »Still! Still, ihr Hunde!« schrien sie und schlugen mit ihren goldenen Bambusstäben zu. Einer nach dem anderen versiegten die Schreie der Pilger zu schmerzerfülltem Wimmern.
    »Was ist?« rief Pah-ko. »Hodai, was …« Er kniete neben seinem Orakel nieder und packte den kleinen Sklaven an den Schultern.
    Es war deutlich, daß das Kind kurz vor einer Prophezeiung stand. Aber was für eine Prophezeiung! Pah-ko hatte so etwas noch nie gesehen. Sein Herz klopfte heftig vor Angst.
    Denn diese Prophezeiung, die Hodai so erschütterte, kannte keine Worte; nur Schrei um Schrei, eine Mischung aus Angst und wahnsinniger Sehnsucht. Aber das Entsetzlichste bestand darin, daß es tatsächlich die Stimme des Phönix war, die wunderschöne goldene Stimme, verdreht und krank. Selbst die Tempelwachen, normalerweise unerschütterlich, wurden bleich.
    Dann hörte es plötzlich auf. Hodai fiel zu Boden. Die Stille rauschte laut in Pah-kos Ohren.
    Unerträglicher Druck, unerträglicher Schmerz – und dann Erleichterung!
    Ein dünner Schrei erklang. Shei-Luin ließ sich in die Kissen sinken. Ihr Herz flatterte in ihrer Brust wie die Flügel eines Kolibri. Sie hauchte: »Was ist es?« Tsiaa hielt das Kind triumphierend hoch. Der blutig-glatte Körper glitzerte im Licht der einzelnen Öllampe. »Ein Junge, Herrin! Ein weiterer Erbe für den Phönixthron!« Shei-Luin schloß erleichtert die Augen. Noch ein Sohn! Nun stand nichts mehr zwischen ihr und dem Thron der Kaiserin. Sie wußte, daß Tsiaa sich um das Kind kümmern würde, und ließ sich auf einem Meer glücklicher Intrigen treiben.
    Bis sie Tsiaas Keuchen hörte.
    Wieder riß Shei-Luin die Augen auf. Ihr Blick klammerte sich an Tsiaas erschrockenes Gesicht, als die Zofe das Kind in ihren Armen anstarrte.
    Shei-Luins Herz erstarrte. »Was ist?« flüsterte sie.
    Phönix, bitte laß nicht zu, daß es krank ist, betete sie. Bitte, laß mein Kind gesund sein.
    Die Priester würden selbst das Kind des Kaisers töten, wenn es deformiert wäre.
    Zitternde Hände hielten ihr ihren Sohn hin. »Seht Euch sein Bein an«, sagte Tsiaa mit bebender Stimme.
    Shei-Luin betrachtete das Kind in ihren Armen – und stöhnte. Dort, sichtbar für die ganze Welt, war der Beweis ihrer Untreue, der Beweis ihres Verrats.
    Denn ihr neugeborener Sohn hatte an der Seite seines Oberschenkels dasselbe Geburtsmal wie sein Vater: einen dunkleren Hautfleck, als hätte jemand braune Tinte auf das Kind gespritzt, als es noch in ihrem Leib ruhte. Der Fleck war klein, nicht größer als eine Silbermünze, aber er war ihr Todesurteil.
    Xiane hatte selbstverständlich keinen solchen Makel. Aber nur ein Blick auf »seinen« neugeborenen Sohn, und selbst dieser von ihr so bezauberte Narr würde wissen, wer der Vater war.
    Diesmal weigerte sich Shei-Luins lebhafter Geist zu funktionieren. Sie konnte nur flehend die einzige Frau anstarren, die sie jemals »Freundin« genannt hatte.
    »Tsiaa«, flüsterte sie. »Was soll ich tun?«
    Der Boden erbebte abermals.
    Die Zofe erklärte entschlossen: »Es gibt nur eins, Herrin. Gebt ihn mir.«
    Verblüfft tat Shei-Luin, was man ihr gesagt hatte. Tsiaa nahm das Kind an die Brust, gurrte ihm leise zu, ihr Blick voll Bewunderung. Dann wandte sie sich ab, den Kopf über das Kind in ihren Armen gebeugt, und ging zum Fenster. Sie riß die Läden auf. Dann ging sie zum Kohlebecken und kniete sich davor.
    Shei-Luin hätte sich beinahe verschluckt. Sie verstand plötzlich, was Tsiaa vorhatte. Widerstrebende Gefühle durchzuckten sie; jeder Instinkt, den sie als Mutter hatte, schrie danach, ihr Kind zu beschützen. Aber um ihn – und sich selbst -vor dem Tod zu retten, mußte sie Tsiaa tun lassen, was die Zofe vorhatte.
    Tsiaa blickte über die Schulter. Ihre eiserne Ruhe brach schließlich doch. »Herrin, laßt nicht zu, daß sie mich foltern …« Der Satz endete in einem Schluchzen.
    »Das werde ich nicht zulassen. Ich verspreche es dir, Tsiaa, es wird schnell gehen.«
    Die Zofe nickte. Sie streckte die Hand aus, zitterte, die Hand krampfte sich für drei
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