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Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt

Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt

Titel: Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt
Autoren: André Ziegenmeyer
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nicht ganz einfach, auf den Straßen voranzukommen. So viele neuartige Dinge griffen nach ihrer Aufmerksamkeit, dass sie ständig Gefahr lief, von der Menge überrollt zu werden. Die meisten Sachen schienen ihr ausgesprochen fremdartig. Doch selbst wenn das ihren bösen Ahnungen weiteren Vorschub gab, war sie trotzdem auf eigentümliche Weise fasziniert.
    An beinahe jeder Ecke hingen Abbilder von kleinen Hexen, die auf noch kleineren Besen umherritten – und niemand schien sich daran zu stören. Hexen in Gestalt kleiner Puppen, als Marionetten, als Werbeschild auf Essensbuden, ja sogar in Form von Süßigkeiten. Die Luft roch nach Bratenfett und so ziemlich allem, was sich auf dieser Welt kandieren ließ, und die Mehrheit der Leute schien sich ganz wunderbar zu amüsieren.
    Inmitten dieses Mosaiks der Merkwürdigkeiten gab es jedoch auch einiges, das ausgesprochen vertraut wirkte. Dazu gehörten zum Beispiel die Verkäufer. Wenn die Auslagen ihrer Stände Auguste auch verwirrten, erkannte die Hexe doch in fast jedem Gesicht unverwüstliche Merkmale vom Archetyp des Budenkrämers.
    Mit der Zeit jedoch gingen einige Leute dazu über, Auguste als Teil der Scharade zu behandeln. Und dies gehörte zu den Dingen, die sie gründlich verdrossen. Statt ungestört zu beobachten, rückte die Hexe immer mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit, und je tiefer sie ins Gewühl der Gassen vordrang, desto häufiger richteten sich ausgestreckte Zeigefinger auf sie. Allmählich beschlich sie das Gefühl, dass ein spitzer, schwarzer Hut nicht das beste Mittel war, um unbemerkt zu bleiben.
    Doch zunächst stellte dies kein Problem dar. Die meisten Marktbesucher erhielten aus den archaischen Bereichen ihres Bewusstseins rechtzeitige Warnsignale und
behandelten Auguste mit intuitivem Respekt. Meist sahen sie wenig mehr in ihr als eine etwas stämmige Frau mit katastrophaler Frisur und einem zerschlissenen, schwarzen Kleid. Auf ihrer Hutkrempe wippte überdies ein kleines Vogelnest hin und her. Doch zumindest das Unterbewusstsein der Leute registrierte, dass es gewisse Details zu beachten galt.
    Das begann schon bei der exakten Farbe ihres Kleides. Es war nicht jene Form von mystischem Schwarz, das sich am Ende unheimlicher Höhlen oder in den Schatten mondloser Nächte fand. Es wirkte eher abgetragen, an einigen Stellen sogar schäbig. Aber auf wundersame Weise verlor es darüber nichts von seiner Wirkung.
    Dieses Schwarz besaß eine ausgeprägte praktische Komponente. Es teilte seiner Umwelt mit, dass es fast ständig unterwegs war und dabei jede Menge Unheil hinterließ. Außerdem war es sehr ambitioniert und suchte stets nach neuen Arbeitsfeldern. Trotzdem war es nur eine Frage der Zeit, bis sich zwischen all den Menschen einer fand, dessen Vorfahren ihre Instinkte verbummelt hatten.
    Überall drängten sich Familien um sie herum. Auguste hatte sich nie sonderlich gut mit Kindern ausgekannt. Nicht, dass sie sie nicht mochte. Sie nahm sie eher hin, so wie man es mit einem Sonnenaufgang tat – und bisweilen half sie auch, sie auf die Welt zu bringen. Was allerdings zwischen dieser Geburt und dem Eintritt ins Erwachsenenalter lag, blieb ihr stets ein Rätsel.
    Doch das war nicht der Grund, warum sie sich allmählich unwohl fühlte. Weit bedenklicher schien der Hexe ein bestimmter Typus von Erwachsenen. Besonders bei Vätern genoss er eine gewisse Verbreitung. Auguste konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass einige ihre Kinder hauptsächlich deshalb dabeihatten, um endlich selbst wieder bei den Vergnügungen mitmachen zu dürfen.
    In regelmäßigen Abständen entdeckte sie Väter, die ihre Kinder mit leuchtenden Augen von einer Attraktion zur nächsten schleiften. Um das aufkommende Gequengel scherten sie sich dabei keinen Deut. Zunächst betrachtete Auguste dies mit einer gewissen Belustigung – doch nur allzu bald erfuhr ihre Einstellung einen dramatischen Wandel.
    Es dauerte nicht lange, bis einer der glücklichen Familienväter auf Auguste zukam. In der Überzeugung, seinem Kind eine Freude zu machen, bat er sie, es auf den Arm zu nehmen, damit er sie fotografieren könne.
    Auguste verstand nicht alle Teile dieser Bitte, war für den Augenblick aber zu verwirrt, um sich rechtzeitig zu wehren. Was sie hinterher bereute. Unschlüssig hob sie ein kleines Mädchen hoch, das von der ganzen Angelegenheit ebenso unangenehm berührt schien wie sie selbst. Dann blickte sie den Vater fragend an. Kurz darauf sprang aus dem Apparat vor dessen
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