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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex
Autoren: T. C. Boyle
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weiblichen Geschlechtsorganen zu. Er sprach ausführlich über Scheidensekrete und ihre Funktion, die darin bestehe, das Eindringen des Penis zu erleichtern, und über die gleichermaßen bedeutsamen Cervikalsekrete, die in einigen Fällen den Schleimpfropfen lösen, der den Muttermund verschließt und eine Befruchtung verhindert, indem er den Spermien den Weg in die Gebärmutter und zu den Eileitern versperrt. Wir beugten uns über unsere Notizblöcke und schrieben wie verrückt mit. Laura Feeney schwoll an, bis sie so groß war wie ein Ballon bei der Macy Parade. Wir atmeten wie ein einziger Organismus.
Und dann erschien ganz unvermittelt das erste Dia auf der Leinwand: ein erigierter Phallus mit beschnittener Vorhaut, gefolgt von der Aufnahme einer ihn erwartenden feucht glänzenden Scheide. »Der Scheideneingang muß gespreizt werden, damit das männliche Glied eindringen kann«, fuhr Dr. Kinsey fort, während hinter ihm das nächste Bild auf die Leinwand projiziert wurde, »und zu diesem Zweck bedient sich die Frau auf diesem Foto zweier Finger. Wie Sie sehen, ist die Klitoris stimuliert, so daß die für die Frau zum Vollzug des Aktes erforderliche erotische Reizung gegeben ist.« Es kam noch mehr: eine sehr detaillierte, die mechanischen Aspekte hervorhebende Schilderung der verschiedenen Positionen, die der Mensch beim Koitus einnimmt, sowie diverser Techniken des Vorspiels und schließlich, als Anreiz (wer hätte den gebraucht!), die Ankündigung, daß er sich in der nächsten Vorlesung mit der Befruchtung und (hier begann das Geflüster) ihrer Verhütung befassen werde.
Ich hörte jedes Wort. Ich machte mir sogar Notizen, aus denen ich später allerdings nicht schlau wurde. Sobald die Dias kamen, verlor ich jedes Gefühl für den Augenblick (und ich kann nicht genug betonen, wie es mich durchfuhr − es war eine unmittelbare und intensive körperliche Empfindung, als wäre ich in einen eiskalten Bach gesprungen oder als hätte man mich ins Gesicht geschlagen: Da war es, da war es endlich!). Zwar saß ich aufrecht auf meinem Platz neben der anschwellenden Laura Feeney, ich atmete, ich blinzelte, das Blut zirkulierte in meinen Adern, aber eigentlich war ich nicht da.
Danach – ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, wie die Vorlesung endete – packten alle schweigend ihre Sachen zusammen und verließen in ernster Prozession den Saal. Kein Gedränge, keine Witzeleien, wie man sie von einem Haufen junger Studentinnen und Studenten erwarten würde, die eine Stunde stillgesessen hatten. Statt dessen schoben sie sich stetig vorwärts, mit hängenden Schultern und gesenktem Blick, nicht anders als Flüchtlinge aus einem Katastrophengebiet. Ich konnte Laura Feeney nicht ansehen. Ich konnte auch nicht den Arm um ihre Taille legen und sie führen – ich stand in Flammen, ich brannte lichterloh, und ich fürchtete, ich würde sie durch meine Berührung entzünden. Als wir uns inmitten der Menge auf den Regengeruch zubewegten, der durch die aufgerissenen Türen am Ende des Korridors hereinströmte, betrachtete ich ihren Hinterkopf, ihr Haar, ihre Schultern. An der Schwelle wurden wir aufgehalten, es war ein Stau entstanden, weil der Regen niederprasselte und alles Hüte aufsetzte und an Schirmen herumfummelte, und dann hatte ich meinen eigenen Schirm aufgespannt, und Laura und ich gingen die Treppe hinunter, hinaus in den Regen.
Nach etwa hundert Metern – die Bäume wogten im Wind, das Wasser troff vom Schirm – fiel mir endlich etwas ein: »Möchtest du ... möchtest du einen Spaziergang machen? Oder willst du dich lieber ... Ich meine, ich könnte dich auch zum Wohnheim zurückbringen, wenn du ...«
Ihr Gesicht war blaß und in sich gekehrt, sie ging steif neben mir her und vermied jede Berührung, soweit es unter diesen Umständen möglich war. Unvermittelt blieb sie stehen, und auch ich hielt unbeholfen inne und versuchte, den Schirm über ihren Kopf zu halten. »Einen Spaziergang?« wiederholte sie. »Bei diesem Wetter? Ich glaube, du hast dich in der Spezies geirrt – ich bin ein Mensch, keine Ente.« Und dann mußten wir beide lachen, und die Spannung löste sich.
»Wie wär’s mit einer Tasse Kaffee und vielleicht einem Stück, ich weiß nicht, Kuchen? Oder einem Drink?« Ich zögerte. Ihre Augen strahlten. »Ich könnte jetzt was vertragen. Ich war ... Ich meine, ich hab noch nie ...«
Sie legte die Hand an meinen Ellbogen, und plötzlich blühte ihr Lächeln auf und erstarb ebenso schnell
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