Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dr. Ohio und der zweite Erbe

Dr. Ohio und der zweite Erbe

Titel: Dr. Ohio und der zweite Erbe
Autoren: Mark Stichler
Vom Netzwerk:
hast es nicht geschafft“, sagte er mit leichtem Spott in den Hörer.
    „Wie bitte?“ Die weibliche Stimme am anderen Ende war irritiert. „Spreche ich mit Dr. ...“, sie zögerte leicht, „... Ohaijo?“
    „Oh, Entschuldigung“, sagte Dr. Ohio verwirrt. „Ich habe jemand anderen erwartet. Es heißt Ohio, wie man es schreibt. Ich bin Japaner, nicht aus den Staaten.“
    „Aha. Dr. Ohio.“ Die Stimme räusperte sich. „Hier spricht die Sekretärin von Dr. Laudtner, Dr. Ohio. Dr. Laudtner ist der Anwalt von Herrn Höpfner ...“ Sie zögerte.
    Ohios Nackenhaare sträubten sich.
    „Ja?“, fragte er.
    „Dr. Laudtner lässt fragen, ob Sie wohl heute Nachmittag um 17.00 Uhr in Herrn Höpfners Bibliothek kommen könnten? Er hat etwas mit Ihnen zu besprechen.“
    „Wie viel Uhr ist es denn, bitte?“, fragte Dr. Ohio unpassenderweise zurück.
    „Äh, es ist gleich neun. Oh, Entschuldigung. Habe ich Sie etwa geweckt?“
    „Nein, nein“, beeilte sich Ohio zu sagen. Er überlegte. Bis 17.00 Uhr müsste er eigentlich alles erledigt haben. Und sollte doch etwas sein, könnte sich Erika darum kümmern.
    „Ist gut. Ich komme. Auf Wiedersehen“, sagte er und legte auf. Nachdenklich schenkte er sich eine Tasse Kaffee ein und setzte sich an die Küchentheke.

3
    Im Grün der Tannen
schimmert der Waldsee vage
wie dunkle Augen
    Mit langen, bedächtigen Schritten ging Dr. Ohio über den knirschenden Kies der schlecht gepflegten Auffahrt zu Höpfners Villa. Der alte Kasten stand auf einer Anhöhe oberhalb der Straße durchs Aichtal, dahinter zog sich ein Streifen düsterer Tannenwald. Von der Veranda aus hatte man einen schönen Blick ins Tal, durch das sich ein kleines Bächlein schlängelte. Das Haus stand, wie das Sanatorium, in dem Dr. Ohio arbeitete, außerhalb der nächsten Ortschaft. Unter den Ulmen und Espen, die das Bachufer im Tal säumten, waren nur vereinzelt alte Häuser zu sehen. Die meisten hatten früher als Mühlen gedient und standen zum Teil leer.
    In den Kies waren dicke Reifenspuren eingegraben. Vor dem Haus stand eine breite, metallicblau glänzende Limousine. Jaguar, dachte Dr. Ohio, als er zur Tür ging und klingelte. Eine Weile passierte gar nichts. Er strich noch einmal die Ärmel seines dunkelbraunen Anzugs glatt und rückte die schmale, schwarze Krawatte zurecht.
    Dann ein Rascheln und Kratzen hinter der Tür, als ob schon lange jemand dort gestanden hätte und nur so tat, als würde er jetzt erst durch die Vorhalle kommen. Die Haushälterin öffnete, Hanne, eine ältlich wirkende Frau mit streng nach hinten gekämmten Haaren, grauen Strähnen und einem leichten Zittern um den Mund. Dr. Ohio kannte sie von seinen früheren Besuchen. Er hatte das sichere Gefühl, dass sie geweint hatte, und in Ermangelung von Verwandtschaft sprach er ihr sein Beileid aus. Sie sah ihn dankbar an.
    „Kommen Sie mit, Doktor. Die anderen warten schon.“
    Sie führte ihn durch die dunkle Vorhalle, deren Ecken nur zu erahnen waren. Die holzgetäfelten Wände wiesen helle Stellen auf, an denen früher Bilder oder Geweihe gehangen hatten. Ein großer, ausgeblichener und ausgetretener Perserteppich bedeckte den steinernen Fußboden.
    An der Treppe aus schwerem, schwarzem Holz, die hinaufführte in den ersten Stock, verharrte sie kurz, nur einen Augenblick, aber doch lange genug, um Dr. Ohio aus dem Tritt zu bringen. Sie drehte sich im Gehen halb zu ihm um und sah ihn mit dunklen Augen fragend an. Oben öffnete sie die Tür zur Bibliothek und ließ ihm den Vortritt. Hier hatte Dr. Ohio oft mit Höpfner an einem der kleinen, im Raum verteilten Tische gesessen. Hinter Höpfners breitem, antikem Mahagonischreibtisch saß jetzt Dr. Laudtner. Värie Wieri stand mit mürrischem Gesichtsausdruck an eines der Bücherregale gelehnt, die sich auf jeder Seite des Raums bis zur Decke erstreckten. Auf den Tischen waren Leselampen verteilt. Schon Höpfners Großvater hatte die Bibliothek eingerichtet und man merkte dem dunklen Holz und den Möbeln ihr ehrwürdiges Alter an.
    Auf einer Seite des Schreibtischs saßen auf Holzstühlen mit ungepolstertem Lederbelag zusammengesunken eine kleine Frau und ein hagerer Mann mit wettergegerbtem Gesicht, hellen Augen und sehr großen Händen. Dr. Ohio hatte ihn schon des Öfteren gesehen. Es war Henrik, der Gärtner, der sich auch um alle handwerklichen Belange des Anwesens kümmerte. Wer die Frau war, wusste er nicht.
    Als Ohio eintrat, sah Dr. Laudtner von einem Schriftstück auf, das er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher