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Dr. Ohio und der zweite Erbe

Dr. Ohio und der zweite Erbe

Titel: Dr. Ohio und der zweite Erbe
Autoren: Mark Stichler
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hörte sie, bevor sie die gedämpfte Tür zuzog. Sie verdrehte die Augen und setzte sich an ihren Schreibtisch im Vorzimmer.
    Später schlurfte Dr. Ohio den Gang entlang zurück zu seinem Appartement und öffnete die Tür. Es dämmerte bereits und durch das große Panoramafenster kam ein unbestimmtes, blaues Licht. Hinten am Horizont schimmerte in einem schmalen Streifen ein Rest silberne Helligkeit. Dr. Ohio blieb einen Augenblick im Dunkeln stehen und sah hinaus, bevor er die Stehlampe bei der Couch einschaltete.
    Seine kleine Wohnung war pragmatisch eingerichtet. Die kleine Sitzecke mit der Couch und den zwei Sesseln, deren Leder schon etwas zerschlissen war, standen um einen sehr niedrigen Tisch. Daneben befand sich die Tür zum Balkon. Das Zimmer wirkte geräumig, denn einen Esstisch oder sonstige Sitzgelegenheiten gab es nicht, sah man von den zwei Hockern an einer Art Theke ab, die eine schmale Küchenzeile vom Rest der Wohnung trennte. An der hinteren Front zog sich eine lange Wand mit Büchern entlang. Dazwischen, etwas tiefer eingelassen, standen einige Flaschen und Gläser.
    Ohio schenkte sich einen Whisky ein und ließ sich auf die Couch fallen. Da saß er und starrte eine Zeit lang auf die matte, nachtblaue Glasscheibe des Fensters, das den Raum reflektierte. Auf die Stehlampe und ihr gedämpftes Licht, das Regal, die Sitzecke und, als dunklen, kleinen Schatten mit seltsam eingezogenem Nacken und kleinem Kopf, sich selbst. Um ihn herum herrschte eine Stille, die fast spürbar war, wie Materie fing sie an, auf dem Raum zu lasten, ihn auszufüllen, sie versetzte den Drink in seiner Hand in eine leichte Schwingung. Dann klingelte das Telefon. Mit einem leichten Zittern stellte Dr. Ohio das Glas auf den Couchtisch, ging zur Theke und nahm den Hörer ab.
    „Dr. Ohio“, sagte er leise.
    „Spreche ich mit Dr. Ohio?“, drang eine dünne, etwas künstlich klingende Stimme aus dem Hörer.
    „Hier Dr. Ohio“, sagte er, dieses Mal etwas lauter.
    „Hier spricht Wieri, Dr. Ohio.“ Ohio konnte mit dem Namen nichts anfangen. Schweigen.
    „Värie Wieri. Der Assistent von Herrn Höpfner“, sagte die Stimme schließlich.
    „Ah. Herr Wieri.“ Vor Dr. Ohio stieg das Bild eines schmächtigen, nicht sehr großen Mannes mit schütterem, hellbraunem Haar und wässrigen Augen auf. Die Augen waren das Raumeinnehmende in seinem Gesicht. Wässrig wie Leitungswasser und doch durchdringend. Prüfend. Dr. Ohio konnte sich durch seine asiatische Undurchdringlichkeit vor ihnen schützen, aber sie waren ihm unangenehm. Wieri, der Assistent von Höpfner. Der gewesene Assistent, fügte Ohio in Gedanken hinzu.
    „Ja, Dr. Ohio“, sagte Wieri zögernd. „Ich nehme an, Sie haben bereits erfahren, was passiert ist?“
    „Ich weiß nur, dass er gestorben ist“, sagte Ohio. „Näheres ist mir nicht bekannt.“
    „Tja.“ Kurzes Schweigen. „Er ist verbrannt.“
    „Was?“ Dr. Ohio strich sich unwillkürlich über den Unterarm. „Du meine Güte. Wie ist denn das passiert?“
    „Auf dem Anwesen stand eine Scheune. Dort war der Öltank für das Haus deponiert. Sie wissen, es war ein sehr altes Haus ... Soweit die Feuerwehr es schon sagen kann, müssen Dämpfe und ein Kurzschluss den Tank zur Explosion gebracht haben. Herr Höpfner befand sich zu dem Zeitpunkt in der Scheune ...“
    Dr. Ohio lief eine Gänsehaut über den Rücken. Er wusste nicht, ob sie von der Vorstellung herrührte, von einem Öltank in die Luft gejagt zu werden, oder von der Kühle der Stimme, die ihm das Ereignis schilderte.
    „Ich habe nicht viel Zeit“, fuhr die eisige Stimme zögerlich fort. „Wie Sie sich denken können. Ich wollte Ihnen nur kurz die näheren Umstände mitteilen.“
    „Ja, ich danke Ihnen“, sagte Dr. Ohio und wusste nicht, was er noch sagen sollte. Weitere Fragen waren eigentlich unnötig.
    „Ich hoffe, die Verwandten sind informiert?“, sagte er überflüssigerweise noch.
    „Es gibt keine Verwandten. Herr Höpfner war, soweit ich weiß, alleine. Gute Nacht, Dr. Ohio.“
    „Nun ja, dann. Gute Nacht.“ Dr. Ohio legte auf, nachdem aus dem Hörer ein leises Klicken gekommen war. Er setzte sich wieder auf die Couch und nahm einen großen Schluck aus seinem Whiskyglas. Der Schnaps durchfloss ihn wie Feuer und Dr. Ohio vermeinte, für einen Augenblick körperlich zu spüren, zu wissen, wie es ist, in Bruchteilen von Sekunden in kleinste molekulare Teile zerlegt zu werden.
    Dr. Ohio kannte Carl Höpfner seit ungefähr vier Jahren.
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