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Dr. Gordon wird Vater

Dr. Gordon wird Vater

Titel: Dr. Gordon wird Vater
Autoren: Richard Gordon
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einen
braven Familienvater ziemt, und als ich ins Wohnzimmer zurückkehrte, stellte
ich überrascht fest, daß Nicky neben dem leeren Kamin saß, in die Lektüre eines
Buches vertieft.
    «Muß das aber hochinteressant sein»,
bemerkte ich. «Du hast noch nicht einmal deinen Mantel ausgezogen.»
    Sie hielt mir die Titelseite entgegen.
Ich las «Die Grundzüge der praktischen Geburtshilfe».
    «Ich glaube, es hat begonnen», kündigte
sie an.
    «Was? Nein! Doch nicht jetzt schon?»
    «Ich bin meiner Sache völlig sicher.
Hab ausgesprochene Rückenschmerzen. Sie begannen im Augenblick, als wir durch
London fuhren.»
    «Ja, die sind tatsächlich das erste
Anzeichen», gab ich zu.
    «Außerdem setzen sie zeitweise aus und
kommen dann wieder.»
    Schweigend überdachte ich eine Zeitlang
die Symptome.
    «Schauen wir uns nochmals das Buch an»,
schlug ich dann vor.
    Nachdem wir eine halbe Stunde lang hin
und her diagnostiziert hatten — jede unserer Patientinnen hätte angesichts
unserer Verhandlungen prompt einen anderen ärztlichen Betreuer herbeigerufen —,
kamen wir zum Schlüsse, daß Nicky tatsächlich in das
erste Stadium des Entbindungsprozesses eintrat.
    «Schön», sagte ich und erhob mich. «Ich
gehe Ann Partridge anrufen.»
    «Und was soll ich jetzt tun?»
fragte Nicky.
    Ich kratzte mir den Kopf. Ich konnte
mich nicht erinnern, je zu einem so frühen Zeitpunkt zu Rate gezogen worden zu
sein.
    «Ins Bett gehen, wahrscheinlich.»
    «Nein, das werde ich nicht. Ich werde
die Küche scheuem», erklärte sie mit Bestimmtheit.
    «Die Küche scheuern? Mach dich nicht
lächerlich! Jetzt doch j nicht!»
    «Doch. Sonst hab ich dazu nicht mehr
Gelegenheit, bevor deine Eltern kommen und mich für eine schlampige Hausfrau
ansehen. Außerdem will es ein alter Brauch, daß man in diesem Zustand
Hausarbeit verrichtet.»
    Ann Partridge befand sich nicht in
ihrer Ordination. Auch in ihrer Wohnung meldete sich niemand; schon begann ich
ängstlich zu: werden, als eine Stimme in der Leitung ertönte und mich
aufforderte, die Gebärklinik des hiesigen Spitals anzurufen.
    «Hallo, Alter», rief sie nach einer
Zeitspanne, die mir eine Ewigkeit dünkte, ins Telephon, «was ist denn los?»
    «Nicky ist von den ersten Wehen
befallen worden», erklärte ich hastig. «Hoffentlich stecken Sie nicht mitten in
einem andern Fall?»
    «Nein, ich stecke mitten in einer
Spitalsparty.» Ihrem Tonfall entnahm ich, daß sie sich dort aufs angeregteste
unterhielt. «Sind Sie Ihrer Sache ganz sicher?»
    «Ja, natürlich. Nicht der geringste
Zweifel.»
    «Na schön. Ich komme zu Ihnen, sobald
ich mich von hier ohne; unliebsames Aufsehen loseisen kann. Sorgen Sie
inzwischen für Nickys Ruhe und Bequemlichkeit.»
    Nicky lag in der Küche auf den Knien,
einen Eimer neben sich, und schrubbte den Fußboden.
    «Liebling!» protestierte ich. «Das
solltest du aber sicher nicht tun.»
    Sie lachte. «Schau nicht so ängstlich
drein, Richard. Man würde glauben, du kriegst es, nicht ich.»
    «Ich bin ängstlich», gestand
ich. «Obwohl ich sicher schon Hunderten von Gatten gesagt habe, das Ganze sei
ein völlig natürlicher Prozeß.»
    «Aber es werden noch Stunden vergehen,
bevor sich das Drama zuspitzt. Du könntest vielleicht inzwischen unsere Eltern
anrufen und ihnen mitteilen, daß die Sache im Gang ist. Außerdem hast du damit
eine Beschäftigung», fügte sie, meine Behandlung übernehmend, hinzu.
    Ich staunte selbst, daß ich mich trotz
der vorbereitenden neun Monate und trotz meiner medizinischen Ausbildung in
einem eigentümlichen Zustand der Erregung befand. Ich hielt es einfach nicht
für möglich, daß ich binnen weniger Stunden meinen eigenen Nachwuchs in den
Armen halten und daß dieser Nachwuchs meine Krawatte
besabbern würde. Ich trollte mich im Haus herum und rückte da und dort an den
Dingen. Ich versuchte eine Zeitschrift zu lesen, aber dies erwies sich als
ebenso illusorisch wie im Wartezimmer eines Zahnarztes. Nicky fuhr inzwischen
fort, die Küche zu scheuern.
    «Ich sollte jetzt vielleicht doch
hinaufgehen», verkündete sie, als sie etwas später auftauchte. Sie trocknete
sich die Hände an einem Geschirrtuch ab.
    «Was machen die Rückenschmerzen?»
    «Sind ärger geworden.»
    «Noch immer intermittierend?»
    Sie nickte.
    «Dann leg dich wirklich lieber nieder.»
    Ich blieb im eiskalten Wohnzimmer
zurück und schritt auf und ab. Das Entzünden meiner Pfeife hatte noch nie so
viele Streichhölzer erfordert.
    Die Türglocke
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