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Dr. Gordon verliebt

Dr. Gordon verliebt

Titel: Dr. Gordon verliebt
Autoren: Richard Gordon
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augenblicklich nicht da, so hab ich Ihnen ein Eckplätzchen eingeräumt. Sie sind nicht gar so schrecklich ansteckend, wir werden ein paar Wandschirme um Ihr Bett stellen.»
    Ich ließ mich im weißgestridienen Eisenbett nieder, das bereits mit einer Wärmeflasche in gestricktern Überzug, einer Gummiunterlage auf der Matratze, einer Rückenstütze, einer Aufzieh-vorrichtung und einem Emailschälchen auf dem Nachttisch — zwecks Aufnahme des Gebisses — meiner harrte.
    «Tut mir leid, daß wir Sie nicht in einem der Extrazimmer unterbringen können», entschuldigte sie sich. «Aber beide werden augenblicklich benützt. Das eine könnte in ein paar Tagen freiwerden», fügte sie bedeutsam hinzu. «Dann können Sie dorthin übersiedeln.»

    Die ersten Tage meines Patientendaseins waren köstlich. Mein Leiden gehörte nicht zu den schweren — wenn ich mir auch ständig des häßlichen Satzes in einem der Lehrbücher bewußt war, der da lautete: «Ein kleiner Prozentsatz der Fälle verläuft tödlich» — und besaß den Vorteil, daß der ärztlichen Wissenschaft noch keine Behandlungsmethode bekannt war. Daher blieben meine Tage und Nächte davor bewahrt, Riesenpillen oder abgenützte Injektionsnadeln erdulden zu müssen. Ich mußte lediglich daliegen und genesen.
    Doch bald erkannte ich, daß das Kranksein in einem modernen Spital von einem passiven Prozeß weit entfernt ist. Vor ein paar Jahren war es den Ärzten auf gedämmert, daß man den Patienten nicht gestatten sollte, einfach im Bett zu faulenzen, sondern daß es angezeigt wäre, sowohl ihren Körper wie auch ihren Geist täglichen Übungen zu unterwerfen. Diese Idee wird nun mit einer derartigen Begeisterung in die Tat umgesetzt, daß das Tagewerk in einem Krankensaal infolge seiner Strapazen nur von Leuten mit einer von Natur aus eisernen Konstitution ertragen werden kann.
    Wie bei der Armee begann unser Tag um halb sieben mit einer lauwarmen Waschung und dauerte fast ohne Unterbrechung bis neun Uhr abends, bis zum Erlöschen der Lichter. Außer den regelmäßigen Erschütterungen, wie sie Bettmachen, Essen, Trinken, Umschläge, Temperaturmessen, ärztliche Visiten und das Verteilen der «Flaschen» mit sich brachten, schien stets irgendein Spitalsfunktionär darauf zu brennen, uns mit seinem Besuch zu beehren. Allmorgendlich erschien ein blondes Mädchen, das in seinem weißen Overall wie ein Wimbledon-Champion aussah; sie kam von der physiotherapeutischen Abteilung, um eine horizontale Gymnastikstunde abzuhalten. Nachdem wir gemeinsam unter der Bettdecke unsere Knie gebeugt und unsere Zehen herumgewirbelt hatten, tauchte ein anderes Mädchen — von der Beschäftigungstherapie — mit einem Körbchen voll Filzstreifen auf, und es galt, daraus bunte Kaninchen anzufertigen. Danach erschien der Spitalsbibliothekar, um nachzusehen, ob man Lust zum Lesen, der Spitalschätetiker, ob man Lust zum Essen, und der Spitalsgeistliche, ob man Lust zum Sterben hatte. Als nächste kamen der Briefbote, der Junge, der die Zeitungen verkaufte, und einige mit Besen bewaffnete Weiber, die damit unter die Betten fuhren und sich laut über die Krankheiten der Patienten ausließen. Falls noch Zeit übrigblieb, konnte man mit Hilfe von Kopfhörern die öden Weiten des vor- und nachmittägigen Radioprogramms durchstreifen oder mit dem Nachbar Symptome austauschen. Nach dem Mittagessen gab es eine willkommene Zeitspanne aufgezwungenen Schlafes, doch diese wurde gewöhnlich durch fünfzig Studenten, die auf eine Saalrunde hereintrampelten, oder durch einen Angehörigen des Ärztestabes gestört, der irgendeine Privattheorie durch einen Test erhärten wollte. Später ließen sich diejenigen von uns, die auf stehen durften, um den leeren Kamin nieder, streichelten die Stationskatze, rauchten Pfeife und tauschten in einer ruhigen, kameradschaftlichen Atmosphäre, die an ein Altersheim gemahnte, ihre Meinungen aus.
    Unter diesen Begleiterscheinungen geschah es, daß ich mich zum erstenmal ernsthaft verliebte.

3

    DIE AUSERWÄHLTE war die neue Nachtschwester des Honestas-Saals. Sie war ein hübsches, blasses Mädel mit großen dunklen Augen und lockigem Haar, auf dessen Fülle ihr Schwesternhäubchen so drollig wie eine kandierte Frucht auf einem Baiser saß. Wenn sie mit jemandem sprach, pflegte sie ihn schelmisch anzublicken, und die ersten Worte, die sie an mich richtete — «Hätten Sie gerne Ovaltin?» —, ließen einen wohligen Schauer über meine Wirbelsäule rieseln.
    Dies
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