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Dr. Gordon verliebt

Dr. Gordon verliebt

Titel: Dr. Gordon verliebt
Autoren: Richard Gordon
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schwitzen. Dieser Wechsel erwies sich als besonders störend, weil ich an diesem Vormittag doppelte Schwierigkeiten wie sonst mit meiner Arbeit hatte. Es fiel mir schwer, das Mikroskop richtig einzustellen, ständig tropfte mir das Blut von den kleinen Glasscheiben hinab, und ich war nicht imstande, Berechnungen anzustellen. Zu Mittag kroch ich in mein Zimmer und legte mich nieder; ich konnte mir nicht vorstellen, wovon ich so müde war.
    Daß ich krank sein könnte, kam mir nicht in den Sinn. Ärzte verfallen nie auf diese Idee; sie geraten, wenn sie erkranken, in gleicher Weise außer sich wie ein Polizist, der entdecken muß, daß seine Wohnung beraubt wurde, oder wie ein Feuerwehrmann, der sein Haus brennen sieht. Nur aus Neugierde kramte ich nach einem Thermometer, das ich irgendwo in meiner Wäschelade aufbewahrte, und schob es unter die Zunge.
    «Großer Gott!» rief ich. Ich hatte über neununddreißig Grad Fieber.
    Ich setzte mich auf die Bettkante und befaßte mich mit dem entnervenden Problem der Selbstdiagnose.
    Vorsichtig fühlte ich meinen Puls. Sechsundneunzig. Vor dem Spiegel streckte ich die Zunge heraus — sie sah wie die Innenseite eines alten Kessels aus. Ich fixierte meine Gurgel, mußte jedoch erkennen, daß ich nicht sehr tief hineinzublicken vermochte. Ich öffnete mein Hemd und setzte das Stethoskop an möglichst vielen Stellen meines Oberkörpers an; ich entdeckte, daß die eigenen Aterngeräusche beim ersten Abhorchen ebenso beängstigend klingen wie die eigene Stimme auf einer Schallplatte. Nach einigen Minuten Nachdenkens entschied ich, daß ich Typhus haben müsse.
    Ein weiteres Charakteristikum von Ärzten ist, daß sie, wenn sie einmal krank sind, sich nie gestatten, auf halbem Wege stehenzubleiben. Während sie ihre Selbstdiagnose stellen, denken sie in erster Linie an alle tödlichen Krankheiten, dann an die ausgefallensten, drittens an die ungemütlichsten, und gelangen schließlich derart zu einer Diagnose, die bei sämtlichen Abschlußprüfungen ihren Durchfall bewirkt hätte. Nachdem ich den Typhus verworfen hatte, verfiel ich auf Drüsenfieber, Papageienkrankheit und Cholera, und als ich mich der leichtherzigen Art entsann, in der wir im Laboratorium mit gefährlichen Bakterien umgingen, nahm ich noch Tollwut und Pest dazu.
    Der Diagnose folgt die Behandlung; ich kramte in meinem Rasierzeugbehälter nach ein paar weißen Tabletten, die möglicherweise Aspirin sein konnten, und schluckte sie herunter. Eine weitere Eigenheit des sich selbst kurierenden Arztes besteht in einer wilden Verachtung von Etiketten und Dosierungen: Leute, die ihre Patienten mit dem wiederholten strengen Gebot «Nicht mehr als zwei Teelöffel voll nach den Mahlzeiten» ängstigen, behandeln ihre eigenen Leiden großzügig mit pharmazeutischen Mustersendungen im Ausmaß je einer Handvoll oder eines tüchtigen Trunks. Als mir danach ärztliche Beratung nicht unangebracht schien, rief ich von meinem Telephon am Nachttischchen meinen alten Freund Grimsdyke an, der im Operationssaal als Anstaltsanästhetiker arbeitete.
    «Ich bin krank», eröffnete ich ihm und beschrieb meine Symptome. «Was rätst du mir zu tun?»
    «Geh zu einem Arzt.»
    «Hör mal, mir ist nicht nach Spaßen zumute. Ich fühl mich elend.»
    «Ganz ernstlich, alter Junge. Laß einen der Anstaltsärzte kommen. Von der reinen Medizin verstell ich nicht mehr als von höherer Mathematik. Wir leben doch in einem Zeitalter der Spezialisierung, nicht wahr? Ich muß in den Operationssaal — der Patient ist schon ein bißchen blau angelaufen.»
    Ich rief also Hinxman, den Assistenten Dr. Pennyworths, des Vorstands der internen Abteilung zu St. Swithin, an.
    «Wahrscheinlich hast du die Masern erwischt», bemerkte er aufgeräumt am anderen Ende der Leitung. «Sie grassieren momentan heftig.»
    «Die hab ich schon gehabt. In scheußlicher Form noch dazu, als ich sechs war.»
    «Wäre natürlich gar nicht ausgeschlossen, sie zweimal zu kriegen. Beim zweitenmal sind sie gewöhnlich weitaus schlimmer als beim erstenmal. Oder ist’s vielleicht Mumps? Du kennst doch dessen Folgeerscheinungen, wie?» Er brach in ein dröhnendes Gelächter aus; Ärzte bezeigen einander in mißlicher Lage ebensowenig Sympathie wie Golfspieler. «Die Sache ist insofern lästig, als wir kaum ein einziges Bett auf der Station freihaben. Aber ich will auf einen Sprung vorbeischauen, sobald ich einen Augenblick Luft hab.»
    Hinxman erschien ungefähr eine Stunde später. Er war
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