Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dr. Gordon verliebt

Dr. Gordon verliebt

Titel: Dr. Gordon verliebt
Autoren: Richard Gordon
Vom Netzwerk:
vollkommen ruhig und berufsmäßig zu handeln, wie es der Fall sein würde, wenn ich seine Patientin und nicht seine Frau wäre —»
    «Er hat sich also wie jeder andere werdende Vater benommen?»
    «Oh, viel schlimmer! Können Sie sich vorstellen, daß er im vergangenen Monat fast stündlich meinen Blutdruck zu messen versuchte? Und jedesmal, wenn ich Rückenschmerzen bekam, holte er sein Auto heraus. Schließlich konnte ich ihn nicht mehr davon abhalten, mich um vier Uhr früh herzuhetzen, als stünde ich in Flammen. Ich glaube, er hat sich zu Tode davor gefürchtet, selber eingreifen zu müssen.»
    «Soweit ich mich erinnern kann, war Tony als Geburtshelfer nie sehr verläßlich», erzählte ich ihr mitfühlend. «Als ich mit ihm studierte, kamen wir entweder immer um drei Stunden zu früh oder um fünf Minuten zu spät.»
    «Seit ich nun auf die Station gekommen bin, vermisse ich meine Sachen, meine Frisur ist in schrecklicher Unordnung, ich sehe wie eine Vogelscheuche aus, das Essen ist ungenießbar, die Schwester ist ein elendes Weibsstück, und ich hab das Ganze satt.» Sie schmollte. «Und überdies hab ich das Gefühl, als würde ich nie und nimmer das kleine Wurm kriegen.»
    «Machen Sie sich keine Sorgen, Molly, so geht’s allen werdenden Müttern. Bis jetzt ist noch kein Baby ausgeblieben.»
    Drei Tage danach brachte sie ein acht Pfund schweres Büblein zur Welt, das Tony Benskin später durch das Haupttor des Spitals mit der Miene eines Mannes trug, der diesen Prozeß erfunden und patentiert hat. Als ich ihnen in das Auto half, entdeckte ich zu meiner Überraschung ausgesprochen onkelhafte Gefühle in mir. Die Ehe war, so hatte ich es immer empfunden, eine Art Leiden, das jedermann bei zunehmendem Alter beschleicht, etwa wie die Arterienverkalkung. Zum erstenmal begann ich mich nun zu fragen, wie lange meine Immunität noch anhalten würde.

2

    AM FOLGENDEN MORGEN erwachte ich im kahlen Zimmer, das mir St. Swithin als Anstaltsarzt zugestanden hatte, mit den Gefühlen Siseras, dem, wie ich mich aus der Religionsstunde erinnerte, während des Schlafes ein Zeltpflock durch die Schläfe getrieben worden war. In alten Zeiten hätte die Diagnose Kater vulgaris gelautet; doch nun, da meine einstigen Gefährten sowohl geographisch wie beruflich in alle Winde zerstreut waren, war nur selten jemand da, mit dem ich einen heben gehen konnte, und ich war nach einem Täßchen Kaffee bei der Nachtschwester drunten in der Unfallstation um elf zu Bett gegangen.
    Im trübseligen Speiseraum der Anstaltsärzte entdeckte ich, wie ich so unter den mißbilligenden Blicken von Hippokrates, Lord Lister und Sir William Osler saß, daß ich mein Frühstück nicht herunterzubringen vermochte. Dies war ungewöhnlich, denn selbst nach unseren schändlichsten studentischen Ausschweifungen hatte ich am nächsten Morgen bereitwillig Porridge mit Heringen in mich aufgenommen. Ich zwang mich, eine Tasse Tee herunterzuspülen, dann warf ich meinen weißen Mantel um und schritt über den Spitalshof zum Laboratorium.
    Zu dieser Zeit näherte sich meine Tätigkeit als Anstaltspathologe dem Ende. Ich verbrachte meine Tage im Pathologie-Pavillon an einem Arbeitstisch, der üppig in leuchtendem Blau, Grün und Rot schillerte, den Farbstoffen, womit die Bakterien gefärbt wurden, und stellte Berechnungen und Tests mit den sogenannten «Proben» an. Diese waren verschiedenster Natur und wurden täglich entweder auf Tabletts aus den einzelnen Stationen geschickt oder von auswärtigen Patienten stolz in einem Sortiment von Marmeladegläsern und Bierflaschen zugetragen, die man sorglich unterm Rock oder in Einkaufskörben barg.
    «Haben Sie was dagegen, wenn ich das Fenster schließe?» fragte ich den Pathologie-Prosektor, meinen Vorgesetzten. Ich schob einen hohen Laboratoriumshocker an meinen gewohnten Platz. «Heut morgen ist es ein bißchen frisch.»
    «Frisch? Es ist doch ein prächtiger heißer Sommertag!»
    Ich zog das Mikroskop heran und erschauerte.
    «Seien Sie so gut und sehen Sie zu, daß Sie diesen Haufen Blutproben erledigen», fuhr er fort. «Die Stationen haben uns damit direkt überschüttet. Dann hätte ich noch gerne, daß Sie dort die paar Harnproben bearbeiten, wenn Sie Zeit haben. Sie beginnen schon ein bißchen zu müffeln.»
    Als der Prosektor zu seiner Vorlesung ging, schloß ich sämtliche Fenster. Dann stellte ich zu meiner Überraschung fest, daß die Temperatur plötzlich stark gestiegen war, und ich begann zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher