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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr
Autoren: Gunnar Staalesen
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alter Sack« hinzuzufügen; ihr ganzes Gesicht sagte es, die gefletschten Zähne, die höhnisch zurückgezogene Oberlippe. Ich war siebenunddreißig und fühlte mich doppelt so alt. Ich fühlte mich, wie in schon mehrmals benutztes, fettiges Butterbrotpapier eingewickelt.
    Ich hielt meine Stimme in einer leisen und geduldigen Tonlage, um zu unterstreichen, dass ich mich nicht provozieren ließ. »Nirgends. Ich habe vor, hier sitzen zu bleiben, in diesem Sessel, Kaffee zu trinken und ein Buch zu lesen. Ich habe nicht vor, auch nur eine Sekunde lang die Augen zu …«
    »Ich habe nicht gefragt, ob du vorhast, die Augen zuzumachen, ich habe gefragt, wo du liegen willst. Ich weiß genau, wonach du gierst. Ich weiß genau, was du willst.«
    Ich sagte: »Wie ich gesagt habe, ich –«
    »Aber du sollst dafür bezahlen!«, stieß sie heftig hervor. »Glaub bloß nicht, dass du es gratis kriegst. Zweihundert Kronen pro Nummer, und nicht eine Öre weniger.« Sie hob das bisschen Brust, was sie hatte, nach vorn, legte die eine Hand in den Nacken und schob ihr Haar nach oben, während sie mich mit der Karikatur eines Vampblickes ansah und ihre Zungenspitze lüstern über ihre Lippen gleiten ließ. Vielleicht hatte ich mich geirrt. Vielleicht war sie kein Kind mehr, sondern eine viel zu reife junge Frau in einem viel zu kleinen Körper.
    Ich lächelte sie schief an. »In zehn Jahren und mit fünfzehn Kilo mehr kannst du es noch mal versuchen, Lisa. Dann werd ich es mir überlegen. Du bist irgendwie nicht – mein Typ.«
    »Wie willst du sie denn haben? Fünfzig Jahre alt und fett wie Elefanten? Pfui Teufel, was für ein altes Schwein du bist! Du bist wirklich ein altes Schwein.« Sie sagte es also doch noch. Sogar zweimal. Sie rechnete wohl damit, dass ich es schwer nehmen würde. »Scheiße«, sagte sie abschließend zu sich selbst.
    Sie steckte sich eine neue Zigarette an und rauchte stumm. Ich trank langsam meinen Kaffee und holte das Buch hervor, das ich lesen wollte. Es war ein amerikanischer Roman über einen CIA-Agenten, der Krach mit seiner Frau hatte. Irgendwie klang das vertraut. Ich las mir den Rückentext durch. Manchmal braucht man Bücher nicht mehr zu lesen, wenn man gelesen hat, was hinten draufsteht. Auf diese Weise kann man viele Bücher lesen. Man wird belesen und schlagfertig und ein populärer Unterhalter auf Cocktailparties. Wenn man denn zu welchen eingeladen wird.
    Schließlich wurde es ihr zu langweilig, so dazusitzen. Sie stand auf. »Ich geh aufs Klo. Willst du mit und Händchen halten?« Die Zuckungen waren jetzt bis in ihr Gesicht vorgedrungen.
    Ich sagte: »Nicht ganz.« Aber ich stand auf und ging mit ihr zusammen auf die Toilette. Ich versicherte mich, dass dort keine scharfen Gegenstände herumlagen und dass sie sich nicht an den Handtüchern erhängen konnte. Sie war schon dabei, ihre Hose herunterzuziehen. Ich ließ die Tür einen Spalt offen stehen und hörte das plätschernde Geräusch aus der Kloschüssel. Als sie wieder hereinkam, hatte sie nur den Reißverschluss hochgezogen, den Knopf aber nicht zugemacht. Ich sah, dass sie etwas mit ihren Haaren gemacht hatte. Aber sie hatte keinen Kamm, und sie hätte sich hundert Jahre kämmen müssen, um die Zuckungen aus ihrem Gesicht zu kämmen.
    Ich sagte: »Geh jetzt schlafen. Das wird dir gut tun.«
    Sie trat ganz nahe an den Tisch neben mir, spreizte ihre Schenkel vor mir und ließ eine kleine magere Hand liebkosend die Innenseiten ihrer Jeansbeine entlang gleiten, über den zerschlissenen, blauweißen Stoff. Ihre dünnen Schenkel sahen noch kläglicher aus als vorher.
    Mit der einen Hand zerzauste sie mein Haar. Sie versuchte, ihrer Stimme einen sexy Unterton zu geben, als sie sagte: »Nun sei doch nicht blöd. Jetzt hast du die Chance. Kannst du nicht – ich brauch dringend – einen Schuss … Du kannst mich umsonst haben, wenn du mir nur … Ich komm mit dir nach Hause zu den Alten und geh in die Klinik und mach, was du willst mit dir und sag es keiner Menschenseele, aber gib mir –«
    »Lisa …«
    »Hundert Kronen? Fünfzig!«
    »Geh schlafen, Lisa.«
    Sie spuckte mir ins Gesicht. Ich war nicht nur ein altes Schwein, ich war auch ein verdammter Schwuler, und ich sollte mich doch ins Knie ficken und verdammten Strichern den Arsch lecken – ja, ich sollte ihn mir doch selbst – ja, bis ich alt und grau wäre: Sie hatte eine lange Reihe guter und erbaulicher Vorschläge, was ich mit diesem und jenem tun könnte. Aber ich hatte ein Buch,
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