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Dornentöchter

Dornentöchter

Titel: Dornentöchter
Autoren: Josephine Pennicott
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das Poet’s Cottage hat uns alle befreit, und die Liebe zu unseren Ahnen führt uns aus dem Dunkel ins Licht. Ich bitte die Schatten, nun zu weichen.«
    »Seht nur!«, rief Birdie und zeigte in den Himmel. Zwei prächtige Seeadler näherten sich der Gruppe mit gleichmäßigem Flügelschlag. Kurz bevor es so aussah, als würden sie geradewegs in die Anwesenden hineinfliegen, schossen sie hinauf in die Höhe.
    »Juhuuu!« Thomasina riss ihren Schal herunter und winkte aufgeregt damit herum. Die Frauen sahen sich an und lächelten mit Tränen in den Augen. Dann fingen sie spontan an zu klatschen. Violet stand still da, doch ihre wachsamen Augen verfolgten den Flug der Vögel, bis sie nur noch winzige Punkte waren und schließlich verschwanden.
    Das Grüppchen stand einmütig zusammen und sah zu, wie das Tageslicht sich über dem Ozean ausbreitete. Sadie fühlte, dass Marguerite und Pearl ihnen in diesem Moment tatsächlich nahe waren, und sie verspürte eine ungewohnte Akzeptanz und Stärke. Sie erinnerte sich an die Nacht, als Marguerite gestorben war. Ihre Mutter schien sich von ihrem Kampf gegen den Krebs zu erholen. Sie hatte sogar wieder etwas von dem Gewicht zugelegt, das sie zuvor verloren hatte. Sadie hatte gehofft, dass die stärkere Chemotherapie, die der Spezialist bei Marguerite ausprobierte, funktionierte.
    Nachdem sie sich an diesem Abend im Krankenhaus mit einem Kuss verabschiedet hatte, ließ Sadie ihre Mutter im Bett sitzend zurück, neben ihr eine oft gelesene Ausgabe von Jane Eyre . In einer langen Vase stand eine einzelne pinkfarbene Rose. Sadie und Betty holten sich beim Inder ein Takeaway und fuhren nach Hause. Sadie war bald in einen erschöpften Schlaf gefallen, doch morgens um vier wurde sie von der Stimme ihrer Mutter geweckt: »Sadie!«
    Marguerite stand am Fuß ihres Bettes, lächelte ihre Tochter zärtlich an und verschwand kurz darauf. Zitternd war Sadie zum Telefon geeilt, um im Krankenhaus anzurufen und die Nachtschwester zu bitten, nach ihrer Mutter zu sehen. Sie wusste jedoch bereits, was diese vorfinden würde.
    Als sie Jack und Betty von ihrer Erscheinung erzählte, erklärte Jack sie für verrückt, während Betty Nachforschungen im Internet anstellte, wie häufig es vorkam, dass Verwandte von ihren jüngst verstorbenen Lieben noch einmal Besuch bekamen. Ich weiß, ich habe dich gesehen, Mum, dachte sie. Ich weiß, du bist ganz in der Nähe.
    Sie wusste auch, dass sie ihre Mutter und die Vergangenheit jetzt loslassen konnte. Der Wunsch, die Geheimnisse der Vergangenheit auszugraben, war verschwunden – Sadie konnte ihre Mutter und Großmutter nun ruhen lassen.
    Die Wellen schwappten an den Strand, wie sie es in Pencubitt seit Anbeginn der Zeit getan hatten, und die Vögel setzten zu ihrem Morgengesang an. In den Häusern entlang der Küste flackerten die Lichter auf. Kinder erwachten und bestaunten freudig und aufgeregt die Geschenke, die sie auspacken durften. Pencubitt erhob sich, um das alljährliche Fest der Geburt und der Wiederkehr des Lichts zu feiern. Es wurde Tag an diesem fünfundzwanzigsten Dezember.

EPILOG
     
     
     
     
    Es war Nacht. Die Sterne funkelten wie winzige, strahlende Lichtsplitter am Himmel. Zuvor war leichter Regen gefallen und hatte den Garten mit zarten Wassertropfen benetzt. Nun war alles still. Ein praller Mond hing über dem Poet’s Cottage. Er tauchte die weißen Mauersteine des Hauses und den Garten dahinter in sein Licht, und warf dabei unwirkliche Schatten.
    Das Haus war immer da, immer wach. Es nahm wahr, dass im Obergeschoss Sadie und ihre Tochter einen traumlosen Schlaf schliefen, erschöpft von diesem emotionsreichen Tag. Im Gartenhäuschen lag Thomasina in ihrem Bett, starrte in die Luft und strickte Geschichten aus den Schatten. Das Haus allein wusste, wie es sie besänftigen und trösten konnte.
    Das Poet’s Cottage kannte keine Erinnerung und keine Zukunft, denn alle Zeit war eins. Türen würden schlagen und die Sonne würde aufgehen. An manchen Tagen hörte es Pearls Lachen, das Klappern ihrer Schreibmaschine und das Grammophon. An anderen Tagen die Unterhaltungen der Handwerker, die vor langer Zeit die ersten Steine gelegt hatten. Jahreszeiten bestanden aus einer Mischung aus Wind, Schnee, Nebel und Sonnenschein. Kinder wurden geboren, lebten, alterten und starben, in einem kaleidoskopischen Wirbel. Es gab Freude, Feste, Trauer und Blut.
    Touristen fotografierten das Haus, das über dem Meer und dem Friedhof thronte. Die Menschen
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