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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss
Autoren: Bettina Belitz
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bettete ihn zu den anderen Dingen auf das weiße Tischtuch. Meine Gelenke brannten und pochten und das taten sie auch dann noch, als ich mich längst von Tillmann verabschiedet hatte und hoch in die Sila gefahren war, nach Longobucco, wo Colin mich am Rande der Stadt empfing und zu Fuß zu seiner Höhle brachte.
    Ich hatte ihn darum gebeten, die Nacht hier zu verbringen, ohne Louis, eingeschlossen vom dunklen Wald und den Wänden der steinernen Höhle, die Welt ausgesperrt und trotzdem genügend Traumnahrung in der Nähe, falls sie vonnöten war. Wir brauchten diese Abgeschiedenheit. Ich wollte von dem, was sich da draußen abspielte, nichts sehen und hören.
    Die Nächte in der Sila waren kalt geworden. Ich unterdrückte ein Frösteln, als wir schweigend durch den Wald wanderten und Colin nur ab und zu anhielt, um zu warten, bis ich wieder zu ihm aufgeschlossen hatte. Ständig stolperte ich und fiel, als wolle mein Körper Zeit schinden, auch wenn er sich dabei verletzte.
    »Nur noch eins«, durchbrach Colin die Stille der Höhle, nachdem wir uns in ihrer kühlen Finsternis versteckt hatten und das echte Leben zu undeutlichen Schemen verkommen war. »Ich will nur noch eins wissen. Es mag dir lachhaft vorkommen, aber ich glaube, dass ich leichter gehen kann, wenn ich es erfahre.«
    »Dann frag.« Meine Stimme war dunkel vor lauter Elend.
    »Angelo und du, habt ihr euch geküsst? Miteinander geschlafen? Ich frage mich das die ganze Zeit, auch wenn es kleinlich ist und vielleicht gar keine Rolle spielt. Es lässt mich nicht los.«
    »Nein. Nein, das haben wir nicht. Es ist nichts passiert.«
    Colins Augen schauten bis in meine abgründige Seele, doch ich hielt ihnen stand. Es war die Wahrheit.
    Wir hörten auf zu reden und ich begriff schnell, dass diese Nacht verlorene Zeit war. Nichts, was wir taten und sagten, konnte das ändern oder aufhalten, was geschehen würde. Es konnte es nur schlimmer machen. Trotzdem grub ich meine Finger fest in seinen Rücken, als könne ich ihn damit für immer bei mir halten, während er schweigend die Fesseln festzurrte.
    »Nein. Lass sie weg.« Ich nahm die Hände von seinem Nacken und begann den Knoten zu lösen. »Bitte …«
    »Lassie, es ist zu gefährlich! Du weißt, dass mein Hunger immer erbarmungsloser wird.«
    »Ja, ich weiß. Aber wo willst du sie denn festmachen? Hier in der Höhle gibt es nichts und ich möchte dich in Freiheit sehen. Ich will ein anderes Bild vor Augen haben, wenn ich mich an unsere letzte Begegnung erinnere. Lass mich dich nur ansehen, bitte.«
    Ich weinte, ohne zu schluchzen, als er sich das Hemd und dann die Hose von seinem schlanken, sehnigen Körper streifte, dessen Schatten sich pechschwarz auf der Höhlenwand abzeichnete.
    Nackt saßen wir uns gegenüber und sahen uns an, um uns einzuprägen, was wir niemals vergessen wollten, doch auch diese Bilder würden nicht zu halten sein. Irgendwann würden sie sich verfremden und er würde mir entgleiten, sein schwarzer Blick, in dem ich mich wiedergefunden hatte, seine wilden, widerspenstigen Haare, sein Lachen, so unverhofft schön und klar, dass es mich immer wieder überrascht hatte. Es war nicht zu halten …
    Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen.
    Was änderte es, wenn ich sagte, dass ich ihn liebte? Was änderte es, wenn ich ihn in mir spürte? Was änderte es, wenn ich ihn mir einprägte, wo das Gedächtnis der Menschen doch so schnell seine eigenen Bilder zu zeichnen begann? Was war überhaupt wirklich und wahrhaftig von dem, was wir in unserem Leben sahen? Trug ich ihn nicht schon längst in meinem Herzen?
    Wie ein Kind kroch ich aus der Höhle, als der Morgen nahte und die Schatten blasser wurden, krabbelte auf allen vieren durch den Wald, zu schwach für den aufrechten Gang, wimmernd und keuchend, als würde ich von meinem eigenen Mörder verfolgt werden.
    Dabei war ich diejenige, die mich vernichten würde.

DER FUNKE LEBEN
    »Er kommt.« Tillmanns Schultern bebten. Seine Hände wussten nicht, wohin. In ihrer Not hielten sie sich an mir fest. »Ellie …« Er weinte. »Er kommt. Ich muss jetzt gehen.«
    »Ja. Dann geh. Oh Gott, Tillmann …«
    Wir klammerten uns aneinander fest, bis wir uns wehtaten.
    »Er ist mein Freund, verstehst du? Mein Freund. Ich mag ihn so sehr …« Tillmann zog die Nase hoch. Spürte er, dass er richtig weinte, mit echten Tränen? »Ich hab ihn immer bewundert und respektiert, was soll ohne ihn aus uns werden? Was?«
    »Ich
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