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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss
Autoren: Bettina Belitz
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Deshalb hob ich nur grüßend die Hand, als ich aus der Tür trat und sie leise ins Schloss fallen ließ. Paul hatte bereits den Volvo vorgefahren und belud ihn. Nun würde es noch stiller werden in unserer Straße. Friedhofsstille.
    Wir sagten uns nicht viel zum Abschied. Mama und ich drückten uns stumm aneinander. Reden würden wir ein anderes Mal. Ich versuchte, mir meine Eile nicht anmerken zu lassen, doch mich trieb die Angst, meine Entscheidung wieder zu kippen, bevor ich sie aussprechen konnte. Ich musste hinunter zum Strand, zu Colin, und brach auf, bevor die anderen losgefahren waren.
    Die Nacht war hell, der Himmel klar. Die Sterne strahlten bereits vom Firmament, während der Mond gerade aufging, direkt über dem Meer, und einen unendlich langen silbernen Streifen auf das Wasser warf. Colin schaute ihn an, mit dem Rücken zu mir, eine starre schwarze Silhouette, in die erst Leben einkehrte, als er sich mir zuwandte. Hinter uns auf der Straße sprang tuckernd der Volvo an.
    »Du kommst also, um dich zu verabschieden?«
    Ich sah ihm in die Augen, während ich innerlich zu sterben begann, und fand keinen Halt in ihnen.
    »Ja. Ich komme, um mich von meiner Angst zu verabschieden.«
    »Deiner … deiner Angst?« Es geschah selten, dass ich Colin überraschte, und noch seltener, dass er nicht wusste, was ich dachte. Ich konnte selbst nicht glauben, was ich dachte.
    »Ich habe mich entschieden.« Rein erhob sich meine Stimme über dem rhythmischen Rauschen der Brandung. »Ich werde es tun. Ich werde dich töten.«
    Ich atmete ruhig und regelmäßig, doch meine Seele schrie wie ein Tier, dem gerade die Kehle durchgeschnitten wurde. Es gab keinen anderen Weg. Nur diesen einen. Glaube, Hoffnung, Liebe.
    »Lassie …« Colins Augen glitzerten bläulich im Mondlicht. Ein zärtliches Lächeln erhellte sein Gesicht, als er seine Hand ausstreckte und meine Schulter berührte – kein Streicheln eines Liebenden, sondern ein Ritterschlag. »Du tust es? Danke. Danke. Oh Gott … danke.«
    Es musste sein. Ich liebte ihn.
    »Wann?«, fragte ich, während die Erde sich erneut schräg legte. Ich würde fallen und niemand würde mich auffangen.
    »Gib mir zwei Tage mit Louis. Nur zwei Tage. Dann bin ich bereit. Aber diese zwei Tage will ich mit ihm verbringen.«
    Nun wusste ich, was ich zu tun hatte.
    »Einverstanden – wenn du mir eine Nacht mit dir gibst. Davor. Ich kann es nicht, wenn ich gerade erst mit dir zusammen war. Ich muss mich vorbereiten. Aber ich will noch eine Nacht mit dir. Morgen. Ist das in Ordnung für dich?«
    »Ja. Ja, das ist es …« Kein noch so schwacher Zweifel war in seinen Augen zu lesen. Er wusste, dass ich es ernst meinte. Es würden keine Lügen mehr zwischen uns stehen, nie wieder.
    »Komm. Komm mit mir«, forderte er mich lächelnd auf. »Wir erobern uns das Meer zurück.«
    Hand in Hand wateten wir dem Mond entgegen, bis wir uns kopfüber in die sanften Wellen stürzten und wie Fische durch das kühle, salzige Wasser glitten. Keine Notwendigkeit zu atmen. Colin tat es für mich. Ich hielt mich an ihm fest, schlang meine Beine wie Medusa um seinen Leib, während er mich geschmeidig in die Tiefen des Meeres entführte, wo verborgene Schätze im Mondschein glitzerten und die Seele meines Vaters endlich ihre Ruhe fand.
    Ich sah uns beide von oben, anmutig, wendig und stark, beflügelt von stolzen Gedanken und bedingungslosem Vertrauen. Das bin ich, dachte ich ehrfurchtsvoll, als ich mein Gesicht betrachtete, kein Mädchen mehr, aber auch noch keine Frau, die geöffneten Augen blaugrün wie die aufgewühlte See.
    Es war unser Abschied von dem, was Colin seit Langem in sich hasste, unser letztes Spiel mit der Magie, die ihm geschenkt worden war, als er zu dem gemacht wurde, was er war.
    Ich würde wieder atmen müssen, sobald wir an Land gespült worden waren. Er hoffte, damit aufhören zu können.
    Für immer.

IM SCHATTEN DES WALDES
    »Kriegst du das hin? Ist es zu schaffen?«
    Tillmann sah mit gesenkten Lidern an mir vorbei und schien in seinem Kopf einen Punkt nach dem anderen abzuarbeiten, bis er mich schließlich anblickte und nickte. Er war blass geworden, noch blasser, als die Drogen und der Entzug ihn bereits hatten werden lassen. Ich hatte ihm keinen Plan vorgegeben, nur ungefähr gesagt, was ich mir vorstellte. Ich wollte gar keine Einzelheiten wissen.
    »Wenn es zu viel verlangt ist, dann sag es mir …«
    »Nein«, fiel er entschieden dazwischen. »Das ist wohl meine Aufgabe hier. Der
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