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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss
Autoren: Bettina Belitz
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Assistent zu sein. Die Zeit ist verdammt knapp und es wird mir keinen Spaß bereiten, aber …« Wieder schaute er mich an. »Es ist die einzige Möglichkeit, oder?«
    »Ich wüsste keine andere. Kommst du mit dem Geld aus? Mehr habe ich leider nicht mehr. Und hey, du bist nicht nur der Assistent.«
    Ich fragte mich, warum ich so ruhig bleiben konnte. Ich begann mich vor mir selbst zu fürchten. Wann würde der Moment kommen, in dem ich zusammenbrach und mich schreiend am Boden wand, weil ich einsah, dass ich mich übernommen hatte? Ich wartete darauf, seitdem ich meine Entscheidung getroffen hatte, doch nichts dergleichen geschah. Mein Blut floss langsam und behäbig durch meine Venen, auch wenn mein Herz ununterbrochen stach, als würden sich Dornen hineinbohren.
    »Doch, ich bin der Assistent. Und ich hätte gern irgendwann mal eine Hauptrolle. Bei etwas Schönem, nicht bei etwas Schrecklichem. Ich will meine Hauptrolle haben.«
    »Die wirst du bekommen und hoffentlich so, wie du es sagst. Bei etwas Schönem.«
    Wie er stand ich mit den Händen in den Hosentaschen vor dem Salontisch und blickte auf die Gerätschaften. Tillmann atmete etwas lauter aus als sonst, kein Seufzen, nur ein gut hörbares Atmen, aber es verriet mir seine immense innere Anspannung.
    »Das hier wird viel schwerer. Nicht technisch, sondern …« Noch einmal atmete er tief durch. »Ich mag ihn.«
    »Ich weiß.« Für einen Moment brach auch mein Atem aus seiner ruhigen Regelmäßigkeit aus. Tillmann war kein Mensch, der mit seiner Zuneigung für andere verschwenderisch umging, und wie ich hatte er kaum Freunde. Aber Colin zählte dazu und nicht nur das – er bewunderte ihn, identifizierte sich mit ihm. Und während unseres Rausches hatte ich genau gemerkt, dass seine Zärtlichkeiten auch Colin viel bedeutet hatten. Die beiden hatten eine Verbindung aufgebaut, wie es sie zwischen normalen Menschen nie geben konnte. Trotzdem wartete ich, bis meine Lungen wieder ruhiger arbeiteten, und sprach weiter. »Du hast die ganze Nacht und wahrscheinlich auch den ganzen Morgen, um alles vorzubereiten. Dann sollten wir bereit sein. Wir treffen uns hier. Ich kann dir helfen, falls du nicht fertig wirst. Tillmann, ich will nicht hetzen, aber es ist schon dunkel und er wartet dort oben auf mich …«
    Wie konnte ich das alles so nüchtern formulieren? Wieder überlief meinen Oberkörper ein fast krankhaftes Zittern; ein Gefühl, als würde ich Schüttelfrost und hohes Fieber bekommen. Ich konnte das Schlottern nicht unterdrücken und presste meine Hände auf meine Oberarme, bis es abgeklungen war. Tillmanns Augen wanderten prüfend über den Tisch. In Gedanken war er schon bei seinen Taten. Doch, er würde wissen, was er zu tun hatte, und ich musste mich darauf verlassen, dass er über sich hinauswuchs und seine Gefühle hintenanstellte.
    »Ich muss dir noch etwas geben, Ellie.« Er ging an mir vorüber in die Küche und kam sofort wieder zurück. Auf seinen Händen lag der silberne Samurai-Dolch, den Colin beim Tod von Tessa gezogen hatte – nicht, um ihn ihr in die Brust zu rammen, sondern sich selbst.
    »Den habe ich heute Morgen vor der Tür gefunden«, sagte er, ohne mich anzublicken. »Ich gehe davon aus, dass du ihn benutzen sollst. Ich sollte dir vielleicht sagen, dass …« Er zögerte.
    »Sag es«, ermunterte ich ihn und strich über den kühlen, verzierten Griff. Die Klinge war poliert und spiegelte Tillmanns dunkle Augen wider, verzerrt und widernatürlich groß.
    »Bei Tessa war es leicht, aber vielleicht habe ich das auch nur so empfunden, weil ich unter Drogen stand. Ich hatte mich vorher informiert, wie man es am besten tut und – du brauchst Kraft. Vor allem aber musst du die richtige Stelle treffen. Wenn du gegen die Knochen prallst, kannst du dir den Arm stauchen und dann geht gar nichts mehr. Setze ihn hier an …« Er fasste vorsichtig an meine linke Brust. »Spürst du diese weiche Stelle zwischen den Rippen? Dort gelangst du direkt ins Herz. Es genügt ein Stich, wenn er richtig platziert wurde. Bereite dich darauf vor, dass seine Haut zäh ist.«
    Ja, das hatte ich schon festgestellt, als ich Tessa die Spritze gegeben hatte. Menschenhaut war zäh. Doch damals hatte ich ein Leben retten wollen und nicht ein Leben vernichten. Ich umgriff den Dolch, um ihn testweise durch die Luft zu schwingen. Er lag schwer und vertraut in meiner Hand, obwohl ich ihn noch nie berührt hatte. Das Metall wurde sofort warm unter meinen Fingern. Ich
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