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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss
Autoren: Bettina Belitz
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Gesicht fast so weiß wie das Kissen. Ich strich panisch über seine Achselhöhlen. Sie waren warm, aber warum verebbte das Rauschen? Ich lauschte, mein Ohr dicht über seiner Brust. Meine Haare fielen herab und streiften seine nackte Haut.
    »Oh Himmel, Lassie …« Colin konnte nicht mehr laut sprechen, nur noch hauchen und raunen. Das Leben verließ ihn. Erstaunt sah ich, wie sich eine feine Gänsehaut um seine Brustwarzen bildete, winzige helle Punkte. Er fror?
    »Ich spüre dich … deine Haare kitzeln. Ich kann dich endlich spüren …«
    »Was redest du da?« Ich zitterte so sehr, dass meine Zähne aufeinanderschlugen. Blut tropfte aus meinem Mund. »Colin, bleib hier, bitte! Bleib hier! Sag mir, was du fühlst!«
    Doch seine Augen schlossen sich, während ein seliges Lächeln seine harten Züge glättete.
    »Ich bin nicht echt. Ich war nur ein Schwindel. Ein Fake. Ich konnte nichts fühlen. Hast du das denn nie verstanden? Ich habe es so oft angedeutet …« Er musste eine Pause machen, um neue Kraft zu sammeln – seine letzte Kraft. Ich drückte meine Ohren an seine Brust, in der es ruhig geworden war. Das Rauschen brandete nur noch unregelmäßig auf und so zaghaft, dass ich es kaum mehr hören konnte. »Ich bin ein Mahr. Wir können nicht fühlen. Wir sind unfähig zu fühlen, nur deshalb rauben wir … Ich habe deine Hände nie auf mir gespürt … nie … erst jetzt …«
    »Aber du hast auf mich reagiert, das – das kann nicht sein, was du behauptest! Ich habe es genau gesehen …« Was redete er da nur?
    »Ja, ich habe auf dich reagiert. Weil du mich gefühlt hast und weil du es schön fandest. Deine Lust war meine Lust, dein Schmerz war mein Schmerz, deine Freude war meine Freude. Es ist gut, dass ich sterbe, denn ich war niemand, ich war nichts … weniger als nichts … Aber für diesen einen Augenblick …« Das Rauschen war von ihm gegangen. Sein Hunger war gestillt. »Für diesen einen Augenblick hat es sich gelohnt. Alles. Ich habe deine Berührungen gefühlt.«
    »Nein, Colin, das glaube ich dir nicht! Ich glaube das alles nicht, das kann nicht sein! Und du stirbst nicht, du wirst jetzt nicht sterben! Hast du mich verstanden?«
    Ich schlug ihm ins Gesicht und auf seine Brust, doch er hörte nicht auf zu lächeln, so glücklich und matt und zufrieden. Er musste seine Augen öffnen …
    »Sieh mich an, Colin, bitte sieh mich an!«
    »Nein.« Seine Lippen bewegten sich kaum mehr.
    »Doch, du musst es tun, so wie du es immer getan hast, denn in deinen Augen habe ich deine Gefühle gesehen, sie waren da!«
    Hatte er mir nicht einst selbst gesagt, er sei ein fühlendes Wesen? Nur eine Lüge? »Ein fühlendes Wesen«, hatte er nach einer Pause geantwortet, als ich ihn gefragt hatte, was in Gottes Namen er sei. Doch mein Gedächtnis erinnerte sich plötzlich ebenso deutlich an den Zusatz, den er angefügt hatte. »Und das ist keine Selbstverständlichkeit.« Er hatte nur gefühlt, weil ich fühlte … so furchtbar viel fühlte …
    »Es waren deine Gefühle, Lassie«, las Colin ein letztes Mal meine Gedanken. »Nicht meine. Wenn du meine Gefühle gesehen hast, hast du dich gesehen. Nur dich. Ich war dein Spiegel … Du hast dich selbst erblickt und geliebt. Es ist schön, dass du das getan hast, aber du brauchst einen Mann mit Charakter … du … du …« Ein schwaches Seufzen stahl sich aus seinem geöffneten Mund. Verzweifelt küsste ich ihn. Er reagierte nicht mehr auf mich, seine Worte erklangen nur noch in meinem Kopf. »Ich konnte es dir nicht sagen, weil du mich verlassen hättest, und dann …«
    »Hätte ich dich nicht mehr töten können, ich weiß schon«, erwiderte ich, wissend, dass das nicht der einzige Grund gewesen war. Meine Gegenwart hatte ihn zum Menschen werden lassen. »Du kannst gar nichts fühlen? Ich glaube das nicht …«
    »Doch. Ich kann. Hass, Zorn, Wut, Neid, Raffgier, Mordlust, Eifersucht … alles Schlechte … aber das Gute fällt mir schwer … nur durch dich und mein Pferd floss es auch in mich … fand ab und zu in mir ein Zuhause … Und jetzt – jetzt habe ich meinen Seelenfrieden. Und du bekommst deinen … Lassie, ich … ich …«
    Es gelang ihm nicht, seinen Satz zu Ende zu führen, nicht einmal in meinem Kopf. Alles in ihm wurde still und stumm, doch in sein Gesicht schlich sich ein Ausdruck, den ich noch nie bei ihm gesehen hatte, nicht einmal, wenn er meditiert hatte.
    Es war vollkommener Frieden.
    Meine Arme gaben nach. Ich konnte mich nicht mehr halten.
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