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Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft

Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft

Titel: Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft
Autoren: Carlos Castaneda
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überrascht, als sie jetzt damit aufhörte. Im gleichen Moment preßten auch die anderen nicht mehr ihre Köpfe gegen meinen. Sie schauten sich um, und damit gaben sie meinen Kopf frei. Ich konnte ihn wieder bewegen. Lidia, la Gorda und Josefina standen so nah bei mir, daß ich nur durch die Lücken zwischen ihren Köpfen spähen konnte. Ich konnte nicht feststellen, wo wir uns befanden. Eins aber wußte ich gewiß: wir standen nicht auf festem Boden. Und noch etwas wußte ich mit Sicherheit. Unsere Reihenfolge hatte gewechselt. Jetzt befand Lidia sich zu meiner Linken und Josefina zu meiner Rechten. La Gordas Gesicht war schweißüberströmt, auch die Gesichter von Lidia und Josefina. Rosa, die hinter mir stand, konnte ich nur spüren. Ich sah ihre Hände, die unter meinen Achseln hindurchgriffen und mich an den Schultern hielten. La Gorda sagte etwas, das ich nicht hören konnte. Sie sprach ganz langsam, als ob sie mir Zeit lassen wollte, ihr die Wörter von den Lippen abzulesen, aber ich vertiefte mich in den Anblick ihres Mundes. Irgendwann hatte ich dann das Gefühl, daß die vier mich bewegten; sie schaukelten mich. Dadurch war ich gezwungen, besser auf la Gordas lautlose Worte zu achten. Diesmal gelang es mir, sie eindeutig von ihren Lippen abzulesen. Sie sagte mir, ich solle mich umdrehen. Ich versuchte es, aber mein Kopf schien wie fixiert. Ich spürte, daß jemand mich in die Lippen biß. Ich schaute la Gorda an. Sie war es nicht, die mich biß. Sie schaute mich an und sprach deutlich ihren Befehl, ich solle meinen Kopf wenden. Während sie sprach, hatte ich tatsächlich das Gefühl, als ob sie mein ganzes Gesicht ableckte oder mich in Lippen und Wangen biß.

La Gordas Gesicht war irgendwie verzerrt. Es wirkte sehr groß und gelblich. Auch die ganze Szene war in gelbes Licht getaucht; daher glaubte ich, vielleicht spiegelte ihr Gesicht nur dieses Leuchten. Ich konnte beinah hören, wie sie mir befahl, meinen Kopf zu wenden. Schließlich wurde mir das Beißen und Lecken zuviel, und ich schüttelte ärgerlich den Kopf. Und plötzlich konnte ich la Gordas Stimme deutlich vernehmen. Sie war hinter mir und schrie mich an, ich solle meine Aufmerksamkeit umwenden. Jetzt merkte ich, es war Rosa, die mein Gesicht leckte. Ich stieß sie mit der Stirn weg. Rosa weinte. Ihr Gesicht war schweißgebadet. Hinter mir hörte ich la Gordas Stimme. Sie sagte, ich hätte die Kräfte der Frauen erschöpft, indem ich sie bekämpfte, und jetzt wisse sie nicht, wie sie unsere anfängliche Aufmerksamkeit wieder einfangen sollte. Die Schwesterchen weinten. Meine Gedanken waren glasklar. Meine Vernunft aber hielt sich nicht an logische Schlußfolgerungen. Ich wußte alles sofort und direkt, und mein Denken kannte keinerlei Zweifel. Ich wußte zum Beispiel unmittelbar, daß wir wieder in jenen Schlafzustand zurückkehren mußten und daß dies uns wieder in die Tiefe stürzen lassen würde. Aber ich wußte auch, daß ich es ihnen überlassen mußte, uns zu ihrem Haus zurückzuführen. Ich selbst war dabei völlig nutzlos. Falls es mir überhaupt gelänge, meine zweite Aufmerksamkeit auf irgendeine Stelle zu konzentrieren, so mußte dies ein Platz im Norden Mexikos sein, den Don Juan mir als mein Eigen gegeben hatte. An sein Bild hatte ich mich immer erinnern können wie an nichts sonst auf der Welt. Ich wagte es nicht, diese Vision heraufzubeschwören. Dann nämlich würden wir, das wußte ich, dort landen.
    Mir kam die Idee, la Gorda zu erzählen, was ich wußte, aber ich konnte nicht sprechen. Und doch wußte ein Teil meiner selbst, daß sie verstand. Ich vertraute ihr wie selbstverständlich, und dann fiel ich binnen Sekunden in Schlaf. Im Traum sah ich die Küche in ihrem Haus. Dort befanden sich Pablito, Nestor und Benigno. Sie erschienen mir ungeheuer groß, und sie leuchteten. Ich konnte meine Augen nicht auf sie fixieren, denn zwischen ihnen und mir war eine Scheibe aus durchsichtigem Plastikmaterial. Dann war mir, als sähe ich sie durch eine Glasscheibe, während jemand Wasser gegen das Glas schüttete. Schließlich zersplitterte die Glasscheibe, und das Wasser troff mir ins Gesicht.
    Pablito begoß mich aus einem Eimer. Nestor und Benigno standen dabei. La Gorda, die Schwesterchen und ich lagen hingestreckt am Boden, im Hof hinter dem Haus. Die Genaros leerten Eimer um Eimer Wasser über uns. Ich sprang auf. Ich war voller Energie - sei es durch das kalte Wasser oder durch das außerordentliche Erlebnis, das ich eben gehabt
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