Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft

Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft

Titel: Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft
Autoren: Carlos Castaneda
Vom Netzwerk:
hatte. La Gorda und die Schwesterchen zogen frische Kleider an, die die Genaros anscheinend für sie in die Sonne gelegt hatten. Auch meine Kleider lagen ordentlich auf den Boden gebreitet. Schweigend zog ich mich um. Ich hatte eine eigenartige Empfindung, die anscheinend auf die Konzentration der zweiten Aufmerksamkeit zurückging; ich konnte nicht sprechen, oder besser gesagt, ich konnte sprechen, aber ich wollte nicht. Mein Magen war in Aufruhr. La Gorda spürte dies offenbar, denn sie zog mich sanft zu einer Stelle hinter dem Zaun. Ich übergab mich. La Gorda und die Schwesterchen zeigten die gleiche Wirkung.
    Ich kehrte in die Küche zurück und wusch mir das Gesicht. Das kalte Wasser schien meine wachen Sinne wiederherzustellen. Pablito, Nestor und Benigno saßen um den Tisch. Pablito hatte wieder seinen Stuhl mitgebracht. Er stand auf und schüttelte mir die Hand. Dies taten auch Nestor und Benigno. La Gorda und die Schwesterchen gesellten sich zu uns.
    Irgend etwas stimmte nicht mit mir. Meine Ohren summten. Mir war schwindlig. Josefina stand auf, wobei sie sich auf Rosa stützen mußte. Ich fragte la Gorda, was wir tun sollten. Lidia stürzte rücklings über die Bank. Ich fing sie auf, aber ihr Gewicht riß mich mit, und wir fielen zusammen auf den Boden. Anscheinend wurde ich ohnmächtig. Dann wachte ich plötzlich auf. Ich lag auf einer Strohmatte im Vorderzimmer. Lidia, Rosa und Josefina schliefen friedlich neben mir. Um aufzustehen, mußte ich über sie hinwegkriechen. Ich rüttelte sie, aber sie wachten nicht auf. Ich ging in die Küche hinaus. La Gorda saß bei den Genaros am Tisch.
    »Willkommen zu Hause!« sagte Pablito. La Gorda, so fügte er hinzu, war kurz vorher erwacht. Jetzt fühlte ich mich wieder wie normal. Ich war hungrig. La Gorda gab mir eine Schale mit Essen. Sie selbst, sagte sie, hatte schon gegessen. Nach dem Essen fühlte ich mich in jeder Hinsicht in Ordnung - nur daß ich nicht wie gewohnt denken konnte. Meine Gedanken waren ungeheuer ruhig. Dieser Zustand gefiel mir gar nicht. Erst jetzt bemerkte ich, daß es später Nachmittag war. Auf einmal spürte ich das Bedürfnis, mit dem Gesicht zur Sonne auf der Stelle zu traben, wie Don Juan es mich gelehrt hatte. Ich stand auf und la Gorda kam mit mir. Anscheinend hatte sie die gleiche Idee gehabt. Die Bewegung trieb mir den Schweiß aus den Poren. Ich geriet rasch außer Atem und kehrte zum Tisch zurück. La Gorda folgte mir. Wir setzten uns wieder. Die Genaros starrten uns an. La Gorda reichte mir meinen Notizblock.
    »Dieser Nagual hier hat uns alle in die Irre geführt«, sagte la Gorda.
    Im gleichen Moment, als sie sprach, erlebte ich eine ganz eigenartige innere Explosion. Wie eine Lawine stürzten meine Gedanken auf mich ein. Anscheinend zeichnete sich dieser Umschwung in meinem Gesicht ab, denn Pablito umarmte mich, Nestor und Benigno ebenfalls.
    »Der Nagual kehrt ins Leben zurück!« rief Pablito. Auch la Gorda schien erfreut. Sie fuhr sich erleichtert über die Stirn. Sie sagte, mit meiner schlimmen Neigung zum Sichgehen-lassen hätte ich beinah mich selbst und sie alle umgebracht. »Mit der Konzentration der zweiten Aufmerksamkeit ist nicht zu spaßen«, sagte Nestor. »Was ist mit uns passiert?« fragte ich.
    »Wir haben uns verirrt«, sagte sie. »In deiner Angst hast du dich gehen lassen, und dann waren wir in jener Unendlichkeit verloren. Wir konnten unsere Aufmerksamkeit nicht mehr aufs Tonal konzentrieren. Aber es ist uns gelungen, unsere zweite Aufmerksamkeit mit der deinen zu verbinden, und jetzt hast du zwei Gesichter.«
    In diesem Moment kamen Lidia, Rosa und Josefina in die Küche hinaus. Sie lächelten und wirkten so frisch und energisch wie immer. Sie holten sich etwas zu essen. Sie setzten sich, und während sie aßen, sprach niemand ein Wort. Als die letzte ihre Mahlzeit beendet hatte, nahm la Gorda den Faden wieder auf. »Jetzt bist du ein Krieger mit zwei Gesichtern«, fuhr sie fort. »Der Nagual sagte, wir alle brauchen zwei Gesichter, um uns in beiden Bereichen der Aufmerksamkeit sicher zu bewegen. Er und die Genaros halfen uns, unsere zweite Aufmerksamkeit abzurunden, und sie drehten uns um, so daß wir in beide Richtungen blicken können. Dir aber halfen sie nicht, denn um ein echter Nagual zu sein, mußt du deine Kraft ganz allein fordern. Du bist noch immer weit davon entfernt, aber jetzt können wir sagen, daß du nicht mehr krabbelst, sondern aufrecht gehst; und wenn du erst einmal deine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher