Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke.

Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke.

Titel: Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke.
Autoren: Erich Kästner
Vom Netzwerk:
geglaubt.
    Wieso fällt mir das heute wieder ein,
    und weshalb überhaupt?
    Vorher sind Wolken da. Und nachher schneit’s.
    Wie aber kommt der Schnee da erst hinauf?
    Die Welt ist, wie gesagt, von großem Reiz.
    Man paßt nur gar nicht auf.
    Die kleinen Flocken tanzen ein Ballett, und viele große Berge sehen zu.
    Das schneit und schneit! Die Erde liegt zu Bett.
    Und kaltes Wasser hab ich auch im Schuh.
    Wenn man so ganz allein im Walde steht, begreift man nur sehr schwer,
    wozu man in Büros und Kinos geht.
    Und plötzlich will man alles das nicht mehr!
    Ich las, es soll die ganze Woche schnein.
    Für einen Menschen, der auf sich was hält, ist es nicht leicht, im Schnee allein zu sein.
    Da wackelt, eh er’s denkt, die ganze Welt.
    Na ja. Schon gut. Dort fließt ja auch ein Bach und tut, als gäb es weiter nichts als ihn.
    Es ist so furchtbar still. Mir fehlt der Krach.
    Die ersten Nächte lieg ich sicher wach und möchte nach Berlin.

Monolog des Blinden
    Alle, die vorübergehn,
    gehn vorbei.
    Sieht mich, weil ich blind bin, keiner stehn?
    Und ich steh seit Drei.
    Jetzt beginnt es noch zu regnen!
    Wenn es regnet, ist der Mensch nicht gut.
    Wer mir dann begegnet, tut
    so, als würde er mir nicht begegnen.
    Ohne Augen steh ich in der Stadt.
    Und sie dröhnt, als stünde ich am Meer.
    Abends lauf ich hinter einem Hunde her, der mich an der Leine hat.
    Meine Augen hatten im August
    ihren Jubiläums-Sterbetag.
    Warum traf der Splitter nicht die Brust und das Herz, das nicht mehr mag?
    Ach, kein Mensch kauft handgemalte
    Ansichtskarten, denn ich hab kein Glück.
    Einen Groschen, Stück für Stück!
    Wo ich selber sieben Pfennig zahlte.
    Früher sah ich alles so wie Sie:
    Sonne, Blumen, Frau und Stadt.
    Und wie meine Mutter ausgesehen hat,
    das vergeß ich nie.
    Krieg macht blind. Das sehe ich an mir.
    Und es regnet. Und es geht der Wind.
    Ist denn keine fremde Mutter hier,
    die an ihre eignen Söhne denkt?
    Und kein Kind,
    dem die Mutter etwas für mich schenkt?

    1 In einer späteren Auflage wurde dieses Gedicht durch ein anderes ersetzt: >Der Blinde an der Mauer< (siehe Anhang S. 143 )

Existenz im Wiederholungsfalle
    Man müßte wieder sechzehn Jahre sein
    und alles, was seitdem geschah, vergessen.
    Man müßte wieder seltne Blumen pressen und (weil man wächst) sich an der Türe messen und auf dem Schulweg in die Tore schrein.
    Man müßte wieder nachts am Fenster stehn und auf die Stimmen der Passanten hören, wenn sie den leisen Schlaf der Straßen stören.
    Man müßte sich, wenn einer lügt, empören und ihm fünf Tage aus dem Wege gehn.
    Man müßte wieder durch den Stadtpark laufen mit einem Mädchen, das nach Hause muß
    und küssen will und Angst hat vor dem Kuß.
    Man müßte ihr und sich, vor Ladenschluß, für zwei Mark fünfzig ein paar Ringe kaufen.
    Man würde seiner Mutter wieder schmeicheln, weil man zum Jahrmarkt ein paar Groschen braucht.
    Man sähe dann den Mann, der lange taucht.
    Und einen Affen, der Zigarren raucht.
    Und ließe sich von Riesendamen streicheln.
    Man ließe sich von einer Frau verführen und dächte stets: das ist Herrn Lehmanns Braut.
    Man spürte ihre Hände auf der Haut.
    Das Herz im Leibe schlüge hart und laut, als schlügen nachts im Elternhaus die Türen.
    Man sähe alles, was man damals sah.
    Und alles, was seit jener Zeit geschah, das würde nun zum zweitenmal geschehn …
    Dieselben Bilder willst du wiedersehn?
    Ja!

Eisenbahnfahrt
    Die Welt ist rund. Man geht auf Reisen, damit sich die Nervosität verliert.
    Und Bauern stehen an den Gleisen,
    als würden sie fotografiert.
    Man sieht ein Schloß und spiegelglatte Gewässer und ein rotes Feld mit Mohn.
    Die Landschaft kreist wie eine Platte
    auf Gottes großem Grammophon.
    Der Schnellzug rast und will nicht rasten.
    Die Hühner nicken längs der Bahn.
    Vorm Fenster wehen Telegraphenmasten
    wie Maiglöckchen aus Porzellan.
    Die Drähte fallen tief und steigen.
    Die Masten gehen manchmal in die Knie.
    Es ist, als ob sie sich vor uns verneigen.
    Uns wird so eigen!
    Wir ziehn den Hut und grüßen sie
    und schweigen.

Frau Großhennig schreibt an ihren Sohn  
    Mein lieber Junge! Das war natürlich sehr schade, daß Du zu meinem Geburtstag nicht kamst. Und nur schriebst.
    Die Nelken waren sehr schön. Und Bratwurst hatten wir grade.
    Weil ich doch hoffte, Du kämst. Und Du doch Bratwurst so liebst.
    Tante Isolde hat mir eine Lackledertasche geschenkt.
    Nur Vater hatte es gänzlich vergessen.
    Ich war erst traurig. Wo er doch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher