Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dinner for One auf der Titanic

Dinner for One auf der Titanic

Titel: Dinner for One auf der Titanic
Autoren: Michael Koglin
Vom Netzwerk:
James drückte sich hinter einen Palmenkübel. Blinde Passagiere?
    Plötzlich schnellte ein Kopf aus dem Boot. Der Mann blickte sich argwöhnisch um. James erkannte ihn sofort. Es war dieser grobe Kerl mit den langen fettigen Haaren und den stechenden Augen. Der Mann, der auf der Gangway den Steward so beschimpft hatte. Er drehte seine spitze Nase in alle Himmelsrichtungen und tauchte wieder in das Beiboot.
    James schlich auf seinen nassen Socken vorsichtig weiter, blieb dann aber wie angewurzelt stehen. Ein Fenster gab den Blick in das Innere einer Suite frei. Eine Dame mittleren Alters stand da in ihrem Korsett und weiten Hosen vor dem Spiegel.
    James trat der Schweiß auf die Stirn. Hier konnte er nicht bleiben. Wenn man ihn in dieser peinlichen Situation entdeckte und falsche Schlüsse daraus zog!
    Aus dem Beiboot drang immer noch das Fluchen dieses Mannes. Was trieb der da? Richtete er sich häuslich in dieser weißen Nussschale ein? Er hatte doch eine dieser Luxuskabinen gebucht. Oder veranstaltete er ein Picknick, womöglich für ein paar Kumpane aus den von ihm so heiß geliebten unterdrückten Klassen? Dem Mann war sicher einiges zuzutrauen.
    James war nur zwei Meter von dem Rettungsboot entfernt, da wurde die Plane hochgerissen. Vor ihm stand in leicht gebückter Haltung dieses russische Vogelgesicht, in der rechten Hand einen Revolver, den er auf James’ Kopf richtete.
    »Die Feinde der Revolution werden niedergemäht, wo immer sie ihr bourgeoises Haupt erheben.«
    James hörte ein Knacken. Dieser Wahnsinnige hatte tatsächlich den Hahn der Pistole gespannt.
     
* * *
     
    Jessup Finch-Meyers legte die Beine auf den Tisch. Sah man von der Enge einmal ab, war es ganz passabel.
    Sicher, mit der ersten Klasse und der dort üblichen Ausstattung mit den Stofftapeten, den flauschigen Teppichen und den Kandelabern an den Wänden konnte diese Kabine nicht mithalten. Aber verglichen mit seiner kargen Zelle in Kalkutta war es luxuriös.
    Und nun hatte es ihn auf diesen Passagierdampfer verschlagen. Und auch noch auf den luxuriösesten der Welt, einen Dampfer der Eitelkeiten.
    Das Schiff hätte statt RMS Titanic lieber RMS Sodom und Gomorrha heißen sollen. Es half nichts. Er musste jetzt aufpassen. Vor allem auf zwei Dinge: Schulden und Frauengeschichten.
    Zaghaft wurde an die Tür geklopft.
    »Nur herein«, rief er und zog einen Stapel Papiere zu sich heran.
    Noch bevor sie die Kabinentür hinter sich geschlossen hatte, nahm er den Geruch von Kirschblüten wahr.
    »Ah, Miss Sterlingtree.«
    »Ja, Sir, also ich, also ... Ich ... Also ...«
    »Ruhig, Miss Sterlingtree, ganz ruhig, ein Wort nach dem anderen.«
    »O ja, Mr. Finch-Meyers.«
    »Nun, Miss Sterlingtree, wie der Kapitän sagte, Sie sind eine Frau, und ich bin ein Mann, und ...«
    »Mr. Finch-Meyers!«
    »Zur Sache. Wir werden uns das zunutze machen und die Passagiere entsprechend den Wünschen des Kapitäns unter scharfe Beobachtung stellen.«
    »Und wenn sie etwas Böses tun, etwas im Schilde führen, dann ...«
    »Genau, Miss Sterlingtree. Dann sind wir rechtzeitig zur Stelle.«
    Jessup Finch-Meyers zog ein Blatt Papier aus dem vor ihm liegenden Stapel.
    »Ich habe hier eine Liste der verdächtigen Personen.«
    »Verdächtige Personen.«
    Ihre Stimme klang verschwörerisch.
    »Also, die behalten wir im Auge. Unauffällig. Auf keinen Fall darf unsere Arbeit die Vergnügungen der wohlhabenderen Herrschaften an Bord beeinträchtigen.«
    »Verstehe, Sir.«
    »Wir verhalten uns wie Gespenster. Unsichtbar und doch präsent.«
     Miss Sterlingtree riss die Augen auf.
    »Nur keine Angst. Das ist nicht wörtlich gemeint. Vielleicht sollten Sie sich ein wenig ausruhen.«
    An der Kabinentür zögerte sie einen Augenblick. Nervös spielte sie mit dem Türknauf.
    »Ja?«
    »Also, vielleicht könnten Sie ... also mein Name ist Patsy, von Patsymoon.«
    Sie huschte eilig aus der Kabine.
    Finch-Meyers blickte ihr kopfschüttelnd nach. Das hatte ihm gerade noch gefehlt.
     
* * *
     
    James riss die Hände in die Höhe.
    »Ich bin nur ein Butler, Sir.«
    James stierte auf die Pistolenmündung.
    »Ein Lakai der Bourgeoisie also. Da ist mir ja ein dicker Fisch ins Netz gegangen.«
    Der Mann mit dem russischen Akzent winkte ihn mit seiner Pistole zu sich heran. James näherte sich mit kleinen Schritten.
    »Wirf einen Blick hinein, Butler.«
    »James McMullen, Sir.«
    »Lakai bleibt Lakai.«
    Der Russe verschwand im Rettungsboot und tauchte mit einem Bündel wieder auf. Kabel
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher