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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Glauben an die allein seligmachende Kirche zu verlieren oder zurückzugewinnen, blieb sie ein für alle Mal bei ihrer zauberhaft schwankenden Haltung. Oft beklagte sie das bourgeoise Verhalten der amerikanischen katholischen Geistlichen und war überzeugt, dass ihre Seele als schwaches Flämmchen auf Roms mächtigem Altar weiterbrennen würde, wenn sie ihr Leben im Schatten der großen Kathedralen des Kontinents zugebracht hätte. Trotz allem waren Priester, neben Ärzten, ihr liebster Zeitvertreib.
    »Ach, Bischof Wiston«, pflegte sie zu sagen, »ich will gar nicht von mir sprechen. Ich kann mir vorstellen, wie viele hysterische Frauen aufgeregt an Ihre Tür klopfen und Sie [17] anflehen, simpatico zu sein«, und nach einem kleinen Intermezzo seitens des Geistlichen fuhr sie fort, »aber mein Zustand – lässt sich damit – überhaupt nicht vergleichen.«
    Nur Bischöfen und Höherrangigen enthüllte sie ihre klerikale Romanze. Kurz nach ihrer Rückkehr in ihre Heimat hatte sie in Asheville einen gottlosen jungen Swinburne-Verehrer getroffen, dessen leidenschaftliche Küsse und unsentimentale Unterhaltungen ihr entschieden zusagten; sie hatten das Für und Wider dieser Angelegenheit diskutiert und dabei trotz aller Verliebtheit durchaus einen kühlen Kopf bewahrt. Schließlich hatte sie beschlossen, der Sache durch eine Heirat den entsprechenden Hintergrund zu geben, was den jungen Heiden aus Asheville in eine seelische Krise stürzte und ihn in die Arme der katholischen Kirche trieb, und nun war er – Monsignore Darcy.
    »Ja, Mrs. Blaine, es ist immer noch nett, mit ihm zusammen zu sein – ganz die rechte Hand des Kardinals.«
    »Eines Tages wird Amory zu ihm gehen, das weiß ich«, hauchte die schöne Dame, »und Monsignore Darcy wird so viel Verständnis für ihn haben wie damals für mich.«
    Amory war nun dreizehn Jahre alt, recht groß und schlank und hing mehr denn je an seiner keltischen Mutter. Gelegentlich hatte er Privatunterricht erhalten – damit er »den Anschluss behielt« und an jedem Ort »die Arbeit an dem Punkt wiederaufnehmen konnte, wo er zuletzt aufgehört hatte«; doch da keiner seiner Lehrer je den Punkt fand, an dem er aufgehört hatte, war sein Verstand noch in ausgezeichneter Verfassung. Was einige weitere Jahre dieser Lebensart aus ihm gemacht hätten, ist allerdings fraglich. Jedoch kam ihm auf einer Schiffsreise in Richtung Italien mit [18] Beatrice nach vier Stunden auf See ein Blinddarmdurchbruch dazwischen, möglicherweise von zu vielen Mahlzeiten im Bett, und eine Reihe aufgeregter Telegramme nach Europa und Amerika bewirkte, dass das große Schiff, sehr zum Erstaunen der Passagiere, langsam wendete und nach New York zurückkehrte, um Amory am Pier abzusetzen. Man muss zugeben, dass die Geschichte, wäre sie nicht tatsächlich so passiert, kaum besser hätte erfunden werden können.
    Nach der Operation erlitt Beatrice einen Nervenzusammenbruch, der eine verdächtige Ähnlichkeit mit Delirium tremens hatte, und Amory musste in Minneapolis bleiben, wo er die folgenden zwei Jahre bei seiner Tante und seinem Onkel verbringen sollte. Und dort packte ihn zum ersten Mal die rauhe, vulgäre Wirklichkeit der westlichen Zivilisation – sozusagen am Schlafittchen.
    Ein Kuss für Amory
    Seine Lippen kräuselten sich, als er Folgendes las:
    Am Donnerstag, dem siebzehnten Dezember, um fünf Uhr, veranstalte ich eine Schlittenpartie, und ich würde mich sehr freuen, wenn Du kommen könntest.
    Herzlich
U.A.w.g.
Myra St. Claire
    Er war nun seit zwei Monaten in Minneapolis und hatte sich nach Kräften bemüht, »den anderen Jungs in der Schule« [19] nicht zu zeigen, wie himmelhoch überlegen er sich fühlte, doch war diese Überzeugung auf Sand gebaut. Einmal hatte er sich im Französischunterricht (in diesem Fach besuchte er die höhere Klasse) als Angeber aufgeführt, zur völligen Verwirrung von Mr. Reardon, dessen Akzent Amory mit Verachtung strafte, und zum Vergnügen der ganzen Klasse. Mr. Reardon, der vor zehn Jahren einmal ein paar Wochen in Paris verbracht hatte, rächte sich mit unregelmäßigen Verben, wann immer er sein Buch aufschlug. Ein anderes Mal hatte Amory sich in der Geschichtsstunde aufgespielt, mit ziemlich katastrophalem Erfolg, denn die anderen Jungen waren in seinem Alter, und in der ganzen folgenden Woche warfen sie mit Sticheleien um sich:
    »Äh, wissen Sie, ich glaub, dass die amärikaanische Rävolutioon weitgeehend eine Sache der Müttelklasse war«, oder:
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