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Dieser Weg wird kein leichter sein

Dieser Weg wird kein leichter sein

Titel: Dieser Weg wird kein leichter sein
Autoren: Peter Gerald und Großmann Asamoah
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mich wie ein kleiner Junge, als ich sie aus dem Dorf abholen ließ, damit sie nach Accra kam, wo ich bei einem Spiel der ghanaischen Nationalmannschaft im Stadion war. Als wir uns sahen, haben wir geweint, beide, ohne Hemmung. Und stolz war meine Oma. Denn für sie war ich jetzt nicht mehr der kleine, sondern der große Mann, der es geschafft hatte.
    Mein neuer Bruder
    Unser erster Abend in Deutschland ging also mit einer großen Fufu-Sause zu Ende – und mit einem gehörigen Streit. Denn meine Schwestern und ich hatten zwar einen neuen Bruder im Alter von sechs Jahren, aber der war uns noch sehr, sehr fremd. So mussten wir uns erst einmal ordentlich kennenlernen.
    Lewis aber war, sagen wir es mal vorsichtig, noch relativ uninteressiert an uns Neuankömmlingen. Schließlich brachen wir in sein Reich ein, in dem er bislang der Einzige war und alle Aufmerksamkeit unserer Eltern hatte. Und plötzlich sollte er nicht nur deren Liebe und das Essen, sondern auch noch sein Zimmer mit uns teilen. In diesem waren bereits die Hochbetten aufgestellt, aber mein kleiner Bruder wollte uns einfach nicht ins Zimmer lassen – ganz nach dem Motto: Neuer Bruder und neue Schwestern sind ja ganz nett, aber mein Zimmer kriegen sie nicht. Es flossen Tränen und es waren jede Menge pädagogische Tricks nötig, um Lewis zu überzeugen, dass wir keine Unmenschen waren. Schließlich sprach mein Vater ein Machtwort, das keine Widerrede duldete. Die Worte eines Familienoberhaupts haben nämlich Gewicht. So lagen wir am Ende eines anstrengenden und aufregenden Tages in unseren Hochbetten und ich weiß noch, was ich dachte, kurz bevor ich in den verdienten Schlaf fiel: Gerald, gerade hat dein neues Leben begonnen. Und ich war furchtbar gespannt darauf, wie es weitergehen sollte.
    Wenige Tage nach dem feindlichen Überfall des Bruders und der Schwestern aus Ghana beruhigte sich die Situation ein wenig. Wir Kinder teilten uns das Zimmer mit gebührendem gegenseitigen Respekt, soweit das in einem kleinen Zimmer mit vier Betten möglich war. Dabei sollten sich, das wünschten sich unsere Eltern, besonders die Jungs miteinander anfreuden. Aber wie sollte das gehen?
    Ich beherrschte eine ghanaische Sprache und Englisch, er nur Deutsch. Und da hatte ich natürlich meine Schwierigkeiten. Wie also sollten wir uns unterhalten? Es ging am Anfang – das kennt jeder Tourist, der der Sprache seines Urlaubslandes nicht mächtig ist – nur mit Körpersprache und Handzeichen. Da wir von einer Kinderfrau betreut wurden, die ebenfalls nur Deutsch sprach, genoss Lewis einen eindeutigen Vorteil bei der häuslichen Kommunikation. Aber das war auch gut für mich. Denn ich hatte keine Chance, mich in die Heimatsprache Twi zu flüchten. Die verstand nämlich keiner. Und so entwickelten wir Stück für Stück unsere eigene Kommunikationsform, eine Mischung aus Englisch, Twi und Deutsch. Beispiel gefällig? »Gehen wir zum Spielplatz« hieß bei uns »Jenko to Spielplatz«. Klingt nicht sehr geschmeidig, war aber einigermaßen hilfreich. Das Kauderwelsch machte uns zu wirklichen Exoten, welche wir sowieso waren. Brüder, die sich nicht unterhalten können – wo gab es denn so etwas?
    Das Verhältnis zu Lewis war zu Beginn nicht zuletzt deshalb etwas gespannt, weil er einen Fernseher besaß – in Ghana war das unvorstellbar, hier anscheinend die Regel. Ich habe schon erwähnt, dass ich als Kind gerne Kühe gehütet habe. Und deshalb war mein Traum vom Fernsehen auch beseelt von Cowboy-Filmen. Doch mein Bruder, der nicht nur über das Gerät, sondern auch über die dazugehörige Fernbedienung herrschte, stand auf Zeichentrickserien, bei der kleine verrückte Figuren gegen Monster kämpften. So ein Mist! Ich wollte doch Pferde, Reiter und Indianer. Da gab es dann häufig handfesten Streit, bei dem er mich regelmäßig aus dem Zimmer schmeißen wollte. Meine Cowboy-Leidenschaft musste also warten, bis ich mit dem Fernseher mal alleine war, was allerdings nicht oft vorkam. Wenn aber doch, dann träumte ich mich mit den Cowboys weg in die Prärie – und dachte immer auch ein bisschen an mein Afrika.
    Heute habe ich ein tolles Verhältnis zu meinem Bruder. Obwohl er anfangs keinen blassen Schimmer von Fußball hatte, spielte er später auch in der Jugend bei Schalke 04. Und ich gebe zu, da hatte er es nicht immer einfach. Denn er wurde
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