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Diese Sehnsucht in meinem Herzen

Diese Sehnsucht in meinem Herzen

Titel: Diese Sehnsucht in meinem Herzen
Autoren: Jen Safrey
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nicht das Haus mit den schwarzen Fensterläden, in dem er aufgewachsen war. Es war ein unscheinbares Mietshaus in Allston bei Boston. Als Nate die Stufen zum Hauseingang hochging, machte er sich darauf gefasst, dass die Angst ihn überkommen würde, aber schließlich behielt seine Entschlossenheit doch die Oberhand.
    Er hatte zunächst versucht, die Adresse im Telefonbuch von Mikes Pflegeeltern nachzuschlagen, während Josey sich von dem Jungen verabschiedete. Aber dort war er nicht fündig geworden. Also klingelte er kurz bei einem befreundeten Polizisten durch, der ihm die Information binnen kürzester Zeit besorgte.
    Seltsam, wie einfach es war, in einer Großstadt jemanden zu finden. Umso seltsamer, wenn es sich dabei um die Person handelte, vor der er sich jahrelang versteckt hatte.
    Nate drückte den schmutzigen Klingelknopf und wartete. So, wie das Haus aussah, rechnete er nicht unbedingt damit, dass die Gegensprechanlage funktionierte, und so erschrak er heftig, als er plötzlich die Stimme seines Vaters hörte: „Ja? Wer ist da?“
    Nate räusperte sich. „Dein Sohn.“
    Stille. Dann summte es, und er stand im Treppenhaus. Er hörte, wie sich im ersten Stock eine Tür öffnete. Dort lehnte sich sein Vater über das Geländer und spähte nach unten. „Derek?“
    „Nein“, erwiderte Nate und ging einige Stufen hoch. „Nate.“
    „Nate“, wiederholte Jonathan, und als Nate auf dem Treppenabsatz angekommen war, hatte der Vater seinen ersten Schock bereits überwunden. Nun grinste er seinen Sohn hämisch an. „Wie schön, wenn die Familie gleich um die Ecke wohnt.“
    Nate ließ sich von dem überlegenen Getue nicht einschüchtern und kam direkt auf Jonathan zu, so dass er rückwärts in seine Wohnung auswich. Dort schloss Nate die Tür. Er stand so dicht vor Jonathan, dass er seinen Atem auf dem Gesicht spürte, der nach Zigarettenrauch roch. Und Nate spürte noch etwas anderes: Angst. Aber diesmal war es nicht er, der von diesem Gefühl überfallen wurde, sondern sein Vater. Als Nate sich dessen bewusst wurde, fasste er den Mut zu sprechen. „Was glaubst du wohl, warum ich hier bin?“
    Jonathan starrte ihn an, aber Nate zuckte nicht mal mit der Wimper. Er wartete einfach schweigend, während sein Vater in der Tasche seiner abgewetzten Cordhose kramte und schließlich eine zerknüllte Zigarettenschachtel samt Feuerzeug zum Vorschein brachte. Er zündete sich eine Zigarette an und blies Nate eine Rauchwolke ins Gesicht. Immer noch rührte der sich nicht von der Stelle.
    „Ich glaube, dir ist endlich klar geworden, dass du gewisse Verpflichtungen hast“, sagte Jonathan.
    „Verpflichtungen?“
    „Ja, und zwar mir gegenüber. Dem Mann, der jahrelang zurückstecken musste, um zwei Kinder mit einem mickrigen Gehalt großzuziehen.“
    „Entschuldige, Dad, aber welche Verpflichtungen sollte ich dadurch eingegangen sein?“
    „Die Verpflichtung, deinem Herrn jetzt ein bisschen unter die Arme zu greifen.
    Das ist sogar ganz leicht. Du brauchst dafür einfach nur dein Scheckheft aufzuschlagen.“
    „Kommt gar nicht infrage.“
    „Entschuldigung? Ich…“
    „Nein, Dad, ich entschuldige gar nichts. Und ich bin dir auch nichts schuldig. Jetzt nicht und auch in Zukunft nicht.“
    „Du undankbarer kleiner…“
    „Nein“, unterbrach Nate seinen Vater erneut. „Ich bin nicht mehr klein. Dafür bin ich aber tatsächlich nicht dankbar für vieles, was wir von dir bekommen haben.
    Zum Glück ist aus Derek und mir aber trotz deiner Fürsorge etwas geworden.
    Jedenfalls bekommst du von uns keinen Cent. Immerhin weiß ich, dass du dich sehr gut um dich selbst kümmern kannst, obwohl du es nie hinbekommen hast, dich um uns zu kümmern. Und ich hoffe, du hörst mir gut zu, weil ich dir das nämlich nicht noch einmal sage. Ich werde überhaupt nie mehr mit dir sprechen.“
    Jonathan reckte das Kinn vor und richtete sich zu seiner vollen Körpergröße auf.
    „Du machst mir keine Angst mehr“, sagte Nate, und seine Stimme klang entschlossen. „Du hast nämlich überhaupt keine Macht mehr über mich.“
    Jonathan atmete heftig. Offenbar suchte er nach Worten… Argumenten, Drohungen, Nichtigkeiten.
    „Auf Nimmerwiedersehen“, verabschiedete sich Nate, dann ging er erhobenen Hauptes aus der Wohnung und aus dem Haus, hinaus in den Spätsommerabend.
    Nate lief die Straße entlang und entfernte sich mit jedem Schritt ein Stück mehr von seiner Vergangenheit. Zum zweiten Mal in seinem Leben hatte er seinen Vater
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