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Dies Herz, das dir gehoert

Dies Herz, das dir gehoert

Titel: Dies Herz, das dir gehoert
Autoren: Hans Fallada
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während des Essens den Brief seiner Mutter vor sich hingelegt. Es ist ein noch uneröffneter Brief. Er ist vor einer ganzen Weile gekommen, vor sechs, acht Wochen ...Damals hat er ihn nicht aufgemacht, damals dachte er noch, er würde wenigstens hier durchhalten können (wenn er auch schon wusste, dass es für ihn so, wie er war, in diesem Lande keine Möglichkeit des Hochkommens gab).
    Seht, in all der Zeit, die er in diesem Lande verbrachte, haben ihn die Briefe der Mutter überall gesucht und gefunden. Es war ja vielleicht nicht so schwer für die Mutter, seine immer wieder veränderten Adressen zu erfahren, er war ja ein Ausländer. Er musste seine Aufenthaltsbewilligung verlängern lassen, er musste mit dem deutschen Konsulat in Verbindung bleiben ...
    Nein, die Adresse zu erfahren konnte für eine Frau, wie seine Mutter war, nicht schwierig gewesen sein. Aber es musste ihr sehr schwer geworden sein, immer wieder diese Briefe zu schreiben, auf die nie eine Antwort kam. Dieser unbegreiflich trotzige Sohn! Sie hatte ihn für so weich gehalten, ohne allzu große Sorgen hatte sie ihn fahren lassen, nach der zweiten oder dritten Schlappe würde er schon heimkommen! Es war ihm ja so verführerisch leicht gemacht – immer lag ein Scheck dabei!
    Aber der Sohn ist doch nicht so weich gewesen, in veränderter Form steckte wohl etwas von der Energie der Mutter in ihm. Eine Weile lang hatten ihn diese Briefe schrecklich gequält, das war in den Zeiten gewesen, da er sich in allen möglichen Berufen versucht hatte, mit dem Glauben, hochzukommen, etwas zu werden, was denen zu Hause imponieren konnte!
    In jener Zeit hatte er diese Briefe wütend zerrissen, sie schienen ihm so sehr den Unglauben an alles, was er werden konnte, auszudrücken. Sie sagten so einfach: Komm heim! Das bedeutete nichts anderes als: Aus dir wird doch nichts!
    Aber seit jener Nacht, da er am laufenden Band gestandenhatte, hatte es damit angefangen, dass er die Briefe uneröffnet in seine Brieftasche steckte. Das laufende Band, das hatte bedeutet, dass er den Kampf um das Hochkommen aufgegeben hatte, dass es für ihn nur noch den Kampf um das nackte Leben gab. Und das uneröffnete Einstecken hatte bedeutet, dass er Angst bekommen hatte. Er hatte es sich nie so recht klargemacht, dass er sich damit einen Ausweg, einen Rückweg frei hielt – kam es zum Schlimmsten, so war der Brief in der Tasche, mit dem Scheck!
    Und heute war es nun zum Schlimmsten gekommen!
    Heute erkannte er, dass er nun den Ausweg des Geschlagenen beschritt: er beugte sich unter die Hand des Bruders!
    An diesem Abend bleibt der Brief noch uneröffnet auf seinem Tisch liegen. Er lag lange wach in seinem Bett, draußen tobte die fremde Stadt mit ihren Autos, ihren nächtlichen Heimkehrern unter seinem Fenster vorüber. Sie grölten und sie lachten, sie waren so schrecklich gedankenlos lustig! Ihre Fröhlichkeit hatte etwas Ödes, etwas Totes. Das Leben war so verdammt einfach: Erfolg haben, das hieß Dollars hamstern, Dollars hamstern war ein Lebenszweck an sich – o Gott, waren sie langweilig! Und er hatte so lange Zeit unter ihnen leben können!
    Aber nun, da er in seinem Bett wach lag, verloren auf den lärmenden, nie abreißenden Strom unter seinem Fenster lauschte, nun, da er sich schon von all diesem gelöst hatte, konnte er sich auch nicht vorstellen, dass er wieder daheim in der Baukasten-Villa hinter der Fabrik leben würde, an Bildern sich vergnügen, an schönen Büchern Gefallen finden würde. Und nebenbei den einen oder anderen belanglosen Auftrag des allmächtigen und allwissenden Bruders ausführen würde ...
    Es war nicht vorstellbar, dass er genau dort wieder anfing,wo er aufgehört hatte. Dazu hatte er sich zu sehr verändert. Aber was sollte er sonst drüben tun als der Sohn aus gutem Hause?
    Er hat etwas davon gehört und gelesen, er hat es auch heute wieder zu spüren bekommen, dass drüben im Vaterland etwas anders geworden ist. Als er zu Anfang hier in diesem Lande lebte, waren die Deutschen für die Amerikaner ein mit halb verächtlichem Mitleid angesehenes Volk: »Ihr seid ja schon halb tot. Gewiss, der Krieg ist auch schuld – aber wir sind jung. Wir fangen erst an zu leben – ihr seid schon beinah tot, ihr armen Deutschen!«
    Aber seitdem hatte sich diese Tonart gewaltig verändert, von herablassendem Mitleid konnte nicht mehr die Rede sein. Sein Werkmeister hatte es noch heute gesagt: »Ihr Deutschen wollt ja wohl die ganze Welt beherrschen!«
    Es war
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