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Die Zwischenwelt (German Edition)

Die Zwischenwelt (German Edition)

Titel: Die Zwischenwelt (German Edition)
Autoren: Filomena Nina Ribi
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führe und nie im Leben etwas zu Ende bringen würde, nicht einmal eine Ausbildung. Dann stellte er die Finanzierung ihres Studiums an der Universität ein. Während seiner Rehabilitationszeit hatte ihn Sibylla täglich besucht und bei ihm plötzlich wieder hoch im Kurs gestanden.
    Jahre später, eines Sonntagmorgens gegen Ende des Herbstes, nachdem die ganze Nacht lang ein Sturm die letzten Blätter von den Bäumen gefegt hatte, klingelte bei Fiona, die inzwischen in einer anderen Stadt wohnte, das Telefon. Sie nahm ab und das Gespräch brannte sich für immer in ihre Erinnerung ein:
    „Hallo Fiona“, hatte Markus in einem dramatischen Ton gesagt. „Ich bin in Papis Wohnung.“ Im Hintergrund hatte Fiona das Flüstern einer weiblichen Stimme gehört. „Ich habe leider eine traurige Nachricht: Er ist heute Morgen gestorben, vor ein paar Stunden – Sibylla hat die Polizei angerufen. Er befindet sich jetzt in der Gerichtsmedizin für die Autopsie.“
    Es war ein windiger Novembertag gewesen, als die Nachbarin, die Vogel-Dame, am Straßenrand gestanden und zugeschaut hatte, wie der schwere Sarg aus dem Haus transportiert worden war. Der rauchende Nachbar war auch anwesend gewesen.
    „Haben Sie gehört, was passiert ist?“, hatte die Frau ganz aufgeregt gefragt.
    „Ja, der Mann von der Dachwohnung hier gegenüber hat sich das Leben genommen“, hatte er geantwortet und einen tiefen Zigarettenzug genommen.
    „Ja, ja …“, hatte die alte Dame misstrauisch geflüstert. „Aber das würde man doch nur tun, wenn man alleine ist – ich habe Stimmen gehört …“
    Ernsts Geschichte schien Fiona damit genauso schleierhaft wie das Sprichwort, das Sibylla so sehr liebte und oft zitierte: „Der Tod beendet nicht alles.“

Der Kastanienwald
    A ls Kind war ich naiv: Mein Universum erstreckte sich vom Zimmer bis zur Stadt, beinahe vergleichbar mit der kleinen Welt einer roten Fruchtfliege innerhalb einer attraktiven Fruchtschale von einem Apfel bis zum nächsten. Das Leben schien schön und unkompliziert zu sein: Es kam mir deshalb schön vor, weil ich nicht ahnen konnte, wie kompliziert es in Wirklichkeit war.
    Ich fuhr eine halbe Stunde mit dem Fahrrad durch die Felder bis zu dem alten kleinen Bahnhof nördlich unserer Stadt, dann durch die Unterführung der Eisenbahn und schließlich Richtung Süden. Die Luft war so feucht geworden, dass etliche Mücken ihre Weltreise angetreten zu haben schienen, um kurz danach an meiner verschwitzen Haut klebenzubleiben. Ich warf mein Fahrrad ins hohe Gras des Feldes am Hang des Berges und lief zum Wald hinauf. Die alten Kastanienbäume standen weiter oben hinter dem großen Wasserbecken, das von einem Wasserfall tief in den Stein gehöhlt worden war.
    Entlang dem Bach lagerten überall im Wald riesige Felsmassen, die von der Erosion so schön modelliert worden waren, dass sie sich als Schwimmbecken perfekt eigneten. Manche Vertiefungen waren so klein, dass nur eine Person darin Platz fand – wie in eine in Grautönen gestreifte Badewanne aus glattem Granit konnte man dort hineinrutschen.
    Ein spezielles Becken war etwa sieben Meter tief und ebenso breit; auch hier waren die Ränder glattgeschliffen und vollkommen ohne Kanten. Das Wasser darin war eiskalt und tiefblau. Hier hatten Sara und ich schon oft gebadet und uns vor fremden Blicken sicher gefühlt, denn niemand verirrte sich per Zufall hierher.
    Ich kniete mich am Ufer des großen Beckens nieder und wusch mir zuerst die Mücken vom Gesicht. Danach setzte ich meine Taucherbrille auf und versuchte mit einer eher unnatürlichen Bewegung, meinen Kopf unter Wasser zu stecken und geradeaus zu schauen, ohne hineinzurutschen. Die Vorstellung, ins Wasser rutschen zu können, weil der Stein so glatt war, machte mir Angst. Ich hatte dort auch noch niemals alleine gebadet, nur in Begleitung. Wer konnte schon wissen, was da unten im tiefen Wasser alles lebte? – Obwohl das Wasser kristallklar war, konnte man nicht erkennen, ob es Steine oder große Fische waren, die sich am dunklen Boden wellenartig bewegten.
    Durch die Brille sah ich die große Forelle nicht, die ansonsten immer nahe an der Oberfläche gleich neben dem Wasserfall schwamm. Sie war nicht mehr da. „Schade“, dachte ich – hatte sie doch jahrelang dort gewohnt. War sie herausgefischt worden? In diesem Becken hatte es immer nur eine Forelle gegeben – oder jedenfalls nur eine, die sichtbar war.
    Ein wenig enttäuscht machte ich mich auf den Weg den Bach entlang weiter
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