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Die Zwischenwelt (German Edition)

Die Zwischenwelt (German Edition)

Titel: Die Zwischenwelt (German Edition)
Autoren: Filomena Nina Ribi
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ich Sara vor, unser Glück auszunutzen und noch warm duschen zu gehen. Das Areal des Schwimmbades war so groß, dass man auf der einen Seite hätte schreien können, ohne dass man es auf der anderen Seite gehört hätte und die Duschen befanden sich am anderen Ende der großen Wiese, weit weg vom Becken. Ich hatte mir schon oft überlegt, warum das so war: Jedes Mal, wenn man aus dem Wasser kam, musste man bis zu den Duschen rennen, um auf dem langen Weg dorthin nicht zu erfrieren, denn es herrschte niemals Windstille hier in der Mitte des Alpentals, wo sich das öffentliche Schwimmbad befand. Meistens trocknete man sich dann lieber direkt mit dem Handtuch ab, statt sich auf die lange Wanderschaft zu den Duschen zu begeben. Vielleicht waren die drei Gratis-Warmwasser-Duschkabinen nicht per Zufall dort gebaut worden, denn da sie sich so weit weg vom Wasserbecken befanden, wurde weniger warm geduscht; so konnten Energiekosten gespart werden. Die Kaltwasser-Duschen hingegen standen überall und waren natürlich ebenfalls gratis – ihre Benutzung war sogar obligatorisch vorgeschrieben. Ihr Wasser schien direkt von den Gletschern zu stammen.
    An dem kleinen viereckigen Zementgebäude befanden sich zwei Türen, von denen die eine zur Toilette führte und die andere zu den Duschkabinen. Sara und ich schalteten das schummrige Licht ein und betraten den Duschraum – sie verschwand sofort wortlos in der ersten Kabine und ich wählte die Zweite. Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich nicht im Geringsten, dass sich mein Leben nach dieser Dusche komplett ändern würde – für immer.
    Endlich heißes Wasser! Obwohl ich alle zehn Sekunden auf den schwarzen Knopf drücken musste, damit die Dusche wieder funktionierte – offensichtlich eine weitere Sparmaßnahme – fing ich an, mich zu entspannen. Es war herrlich: Wir waren mutterseelenalleine in einem riesigen Schwimmbad – es war tief in der Nacht und vollkommen still. Man hörte keine kreischenden Kinder, die sonst dort tobten, weil sich das Kinderbecken in der Nähe befand. Ich begann, die Wassertropfen zu beobachten, die die weißen Keramikkacheln hinunterrutschten. Sie bewegten sich ruckartig, während ich auf den Schultern das angenehme Gefühl warmen Regens hatte. Ich muss lange dort gestanden haben. Ich schwor mir immer wieder, beim nächsten Anhalten der Dusche aufzuhören und zu gehen, aber dann drückte ich automatisch immer wieder den schwarzen Knopf und sagte mir, es sei nur noch für ein Mal, nur noch für dieses eine Mal.
    Plötzlich überfiel mich ein gewaltiges Gefühl. Ich war entspannt – so sehr entspannt, dass ich nicht mehr wusste, wer ich war: War ich eine Frau oder ein Mann? Für eine Millisekunde, die mir wie eine Ewigkeit schien, wusste ich nicht mehr, wo ich wohnte, wer meine Freunde waren und in wen ich verknallt war. Alles war weg, zurück blieb nur ich – mein Körper und ich. Er, der Körper, fühlte sich wie ein Mittel zum Zweck an; ich war ihm gegenüber völlig neutral eingestellt, als ob es sich um eine unbekannte, gar nicht vertraute Hülle für meine Seele handelte.
    Es waren die rutschenden Tropfen auf den weißen Keramikkacheln, die mich hypnotisierten und von der Realität ablenkten. Je länger ich sie anschaute, desto weniger fühlte ich die Grenzen meines Körpers. Ich fühlte mich Eins mit dem Rest der Welt und trotzdem einzeln. Ich fühlte mich, als ob ich nur noch aus Augen bestehen würde: Ich war ein Punkt in der Duschkabine, der auf einer Höhe von 1 Meter 55 schwebte.
    Auf einmal war das Phänomen vorbei. Ich schloss fest meine Augen und öffnete sie wieder – meine Welt sah verschwommen aus, aber war wieder da. Ich konnte die Schwere meines Körpers wieder fühlen. Ich schaute meine Hände an – sie waren ganz verrunzelt und sahen alt aus. Sie waren zu lange nass gewesen, dachte ich und entschied mich, endlich mit dem Duschen aufzuhören; Sara wartete sicher schon lange auf mich. Ich zog schnell meine nassen Kleider an.
    Als ich aus dem kleinen Zementgebäude herauskam, hatte es aufgehört, zu regnen. Es war noch immer dunkel, aber hinter den Bergen konnte ich schon einen hellblauen Schimmer sehen. Sara war nicht da. Ich warf noch einmal einen Blick in das Gebäude: Die erste Duschkabine war tatsächlich leer – und sogar trocken.
    „Schon trocken? Wie ist das möglich? Seit wann ist sie denn fertig? Mann, dann habe ich ja eine Ewigkeit geduscht“, murmelte ich vor mich hin, während ich um die Ecke zu den Toiletten des
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