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Die Zwischenwelt (German Edition)

Die Zwischenwelt (German Edition)

Titel: Die Zwischenwelt (German Edition)
Autoren: Filomena Nina Ribi
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versucht, Ernst zu einem Umzug zu bewegen. Sie hatte gehofft, er würde sich irgendwann von Martina scheiden lassen, aber ohne Erfolg. Und plötzlich tauchte diese Jüngere auf und schon war er ausgezogen. „Wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus“ – das war ein beliebter Spruch von Sibylla gewesen, jetzt traf er sie selbst. Ebenso wie sie selbst einen verheirateten Mann ausgespannt hatte, verlor sie ihn nun auch wieder. Wutentbrannt wetzte sie ihre roten Nägel und eröffnete den Kampf. Sibylla forderte ausgerechnet von Fiona, dass diese ihrem Vater Ernst ins Gewissen spräche. Aber dann war es passiert: Der Unfall.
    Eines Samstagabends stieß Vater Ernst, während er eine fröhliche Zeit mit seiner mysteriösen neuen Flamme verbrachte, auf eine Aerobic-Sendung im Fernsehen. Wahrscheinlich wollte er demonstrieren, wie fit sein alter Körper noch sei und machte die Verrenkungen nach – die unbekannte Frau bestellte anschließend den Krankenwagen. Als Ernst abgeholt wurde, fanden ihn die Sanitäter alleine und halb nackt auf dem Fußboden seiner Dachwohnung liegend. Die Haustür war offen gewesen und die Frau war weg.
    Nach einem schweren Herzinfarkt lag er dann im Koma gefesselt auf der Intensivstation. Nur Angehörige durften ihn besuchen und vor dem Gesetz war Sibylla das nicht: Weder war sie mit Ernst verheiratet noch lebte sie mit ihm zusammen – und zudem waren sie ja auch getrennt. Das wahre Gesicht einer Person entpuppt sich in Ausnahmesituationen. Nach dem Prinzip „liegt einer im Sterbebett, dann hat man ihn plötzlich wieder lieb“ witterte Ehefrau Martina ihre Chance, ihren Mann Ernst zurückzuerobern – nur blöd, dass Sibylla dasselbe dachte. Martina kümmerte sich rührend um ihn und verweigerte Sibylla konsequent den Zugang zur Intensivstation – so schnell kann sich das Blatt wenden.
    Das traf Sibylla sehr schwer. Sie konnte es nicht ertragen, die Verliererin zu sein und zuzusehen, wie sich Ernsts „Ex-Familie“ in seiner Nähe aufhielt – hatte sie sich doch jahrelang alle Mühe gegeben, ihn von seinem früheren Freundeskreis und der familiären Umgebung abzukapseln. Auf seine Hemden, die damals von Martina inspiziert worden waren, war das Frauen-Parfum nicht ganz unabsichtlich gelangt …
    Sibyllas Macht über Ernst war in kürzester Zeit sublimiert und damit war auch ihre Energiezufuhr abgedrosselt worden: Sie war ein Vampir im Blutentzug. Und Fiona war nicht mehr reibungslos zu beeinflussen, da sie nun wieder mehr im Machtradius ihrer Mutter Martina stand. Also musste Sibylla eine andere Lösung finden, um Zugang zu Ernst zu bekommen – und außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Von Angst getrieben hatte sie ihren Unmut schließlich direkt am Eingang der Intensivstation an Fiona ausgelassen:
    „Fiona, ich bin zutiefst enttäuscht von dir! Du hast mir ein Messer in den Rücken gerammt – mit dir will ich nie wieder etwas zu tun haben! Du bist es nicht wert, du bist genau wie deine dürre Mutter. Ich habe dir schon viel zu viel Zeit gewidmet.“ Und gerade in dem Moment, als Fionas Bruder Markus den langen Gang des Spitals entlangkam, hatte Sibylla angefangen, laut und verzweifelt zu weinen.
    Letztendlich war Ernst nicht im Spital gestorben, nein, er hatte sich erholt – zum Teil jedenfalls. Äußerlich gab er den Eindruck, wieder der Alte zu sein, aber er war langsamer geworden und wirkte müder als sonst. Wegen des erlittenen Blutmangels im Gehirn waren seine mentalen Fähigkeiten nicht mehr wie früher. Er brauchte Pflege – das war ein harter Schlag für einen selbstständigen und selbstbestimmten Mann wie ihn.
    Sobald er aus dem Spital entlassen worden und in seine vier Wände zurückgekehrt war, wurde er aggressiver: Er gab sich keine Mühe mehr, nicht laut zu fluchen. Er fing an, junge Leute zu hassen und sie auf der Straße zurechtzuweisen. Eines Tages wurde er von einem Jungen deshalb sogar angespuckt. Allmählich wandte er sich von der ganzen Familie ab und er distanzierte sich auch von seinen alten Freunden. Er nahm das Telefon nicht mehr ab, er öffnete die Tür nicht und er vergaß Termine. Seine Ehefrau Martina schaffte es nicht, mit ihm in Kontakt zu bleiben, um ihn wieder zurückzuerobern. Er bekam Schlafstörungen und litt wahrscheinlich an einer starken Depression.
    Plötzlich forderte er von seiner Tochter Fiona schriftlich seine Wohnungsschlüssel zurück und bezeichnete sie als eine Egozentrikerin, die ein lustiges Leben
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