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Die Zwerge

Die Zwerge

Titel: Die Zwerge
Autoren: Markus Heitz
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einem Schrei warf sich Glandallin gegen den Ork. Die Kante seines Schildes zuckte nach unten und zerschmetterte dem Wesen den Fuß; gleichzeitig schlug er über die Deckung hinweg zu. Die Schneide seiner Axt grub sich knirschend in die ungeschützte Stelle unter der Achsel. Sauber abgetrennt fiel der Arm auf den Stein. Dunkelgrünes Blut schoss in hohem Bogen aus der offenen Wunde.
    Der Ork quiekte gellend auf und erhielt im nächsten Augenblick einen wuchtigen, senkrecht geführten Hieb gegen die Kehle.
    »Bring deinen Verwandten meinen Gruß und sage ihnen, dass ich auf sie warte!« Glandallin drängte den Sterbenden zurück und schob ihn zusammen mit dem nächsten Angreifer über die Brustwehr. Sie fielen über die Kante und verschwanden in der Tiefe. Der Zwerg hoffte, dass der Aufschlag ein halbes Dutzend ihresgleichen mit in den Tod riss.
    Von nun an bekam er keine Atempause mehr. Er rannte auf der Balustrade umher, spaltete Helme samt Schädel und duckte sich unter Pfeilen und Brandgeschossen hinweg, um sich sogleich auf den nächsten Ork zu stürzen.
    Die Dunkelheit, die sich mehr und mehr über den Steinernen Torweg senkte, bereitete ihm keine Schwierigkeiten; sein Volk vermochte in finsterster Nacht zu sehen. Aber seine Arme, die Schulter, die Beine wogen von Schlag zu Schlag und von Schritt zu Schritt mehr.
    »Vraccas, gewähre uns eine Rast, damit wir zu Kräften kommen können«, keuchte er, während er sich das Orkblut mit den Zöpfen seines Barts aus den Augen wischte.
    Und der Gott der Schmiede hatte ein Einsehen.
    Hörner und Trombonen signalisierten den Geschöpfen Tions, von den Zinnen abzulassen. Gehorsam begannen die Orks mit dem Rückzug.
    Glandallin schickte einen letzten Feind ins Jenseits, ehe er auf den Steinboden sank und nach seinem Trinkschlauch langte. Er zog den Helm ab und goss sich das Wasser über die schweißnassen Haare. Kühlend rann die Flüssigkeit über sein Gesicht und erweckte sein Lebensfeuer.
    Wie viele sind uns geblieben? Er stemmte sich in die Höhe, um nach den Verteidigern des Wehrgangs zu sehen. Aus den einhundert waren siebzig geworden; unter ihnen erkannte er die weithin sichtbare Gestalt von Giselbart Eisenauge, ihrem Urvater.
    Der Erste aller Fünften stand dort, wo die meisten abgeschlachteten Orks lagen. Seine polierte Rüstung aus dem härtesten Stahl, der in einer Zwergenschmiede jemals geschaffen worden war, schimmerte hell, und die Diamanten, die seinen Waffengurt zierten, funkelten im Schein der brennenden Petroleumlachen. Er erklomm einen Vorsprung, damit ihn jeder sah.
    »Bleibt auf euren Posten«, schallte seine feste Stimme über die Zinnen. »Seid standhaft wie der Granit, aus dem wir gemacht sind. Nichts vermag uns zu brechen, kein Ork, kein Oger, keine der Bestien, die Tion zu uns schickt. Wir zerschmettern sie, wie wir es schon seit Tausenden von Zyklen tun! Vraccas ist mit uns!«
    Leiser Jubel und zustimmende Rufe ertönten. Ihre Zuversicht, die bedrohlich ins Schwanken geraten war, kehrte wieder; an ihrem Stolz und Trotz würden die Angreifer scheitern.
    Die erschöpften Krieger versorgten sich mit Essen und Schwarzbier. Mit jedem Bissen und jedem Schluck fühlten sie sich lebendiger, frischer. Die tieferen Wunden erhielten eine notdürftige Behandlung, klaffende Wundränder wurden kurzerhand mit feinen Bindfäden zusammengenäht.
    Glandallin setzte sich neben seinen Freund Glamdolin Starkarm. Während sie aßen, betrachteten sie die gewaltige Orkhorde, die sich etwa hundert Schritt von der Pforte zurückgezogen hatte. Ihm kam es so vor, als wollten sie sich zu einem lebendigen Rammbock formieren und Anlauf nehmen, um die Portale mit der Gewalt ihrer Leiber aufzusprengen.
    »So hartnäckig, so erschreckend furchtlos wie in dieser Nacht habe ich unseren ärgsten Gegner noch nie erlebt«, sagte er leise. »Etwas ist anders als sonst.« Schaudernd erinnerte er sich an die sterbenden Bäume.
    Eine Axt fiel klirrend auf die Steinplatten zu seiner Linken. Der Zwerg drehte sich zu seinem Kampfgefährten um und sah ihn gerade noch in sich zusammensacken. »Glamdolin!« Rasch packte er ihn, um ihn zu untersuchen, und erschrak. Seine glühende Stirn war voller kleiner, feiner Wasserperlen, die ihm über das Gesicht und in den Bart rollten, und die geröteten Augen blickten fiebrig ins Leere.
    Glandallin wusste sogleich, dass die rätselhafte Krankheit sich ein weiteres Opfer gesucht und seinen Freund in die Knie gezwungen hatte. Was die Unholde nicht
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