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Die Zwerge

Die Zwerge

Titel: Die Zwerge
Autoren: Markus Heitz
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Tungdil ließ sie wie immer glauben, dass sie es ganz allein schaffe, die Luft aus den prallen Lederbacken zu pressen. Bald glomm das Metall.
    »Siehst du?« Er fasste es mit der Zange und legte es auf den Amboss. »Es hat natürlich einen Grund, weshalb bei mir Zwielicht herrscht. Nur so kann ein Schmied erkennen, ob der Stahl die richtige Temperatur erreicht hat. Warte ich zu lange, verbrennt mir das Eisen, und nehme ich es zu früh aus seinem Bett aus feurigen Kohlen, lässt es sich nicht schmieden oder bricht.« Tungdil freute sich, als er das ernsthafte Nicken der Kleinen sah, die ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten war.
    »Du bist ein Meisterschmied, sagt Mutter.«
    Der Zwerg lachte. »Nein, das nicht. Aber ich kann mein Handwerk ganz gut.« Er zwinkerte ihr zu, und sie lachte fröhlich zurück.
    Dabei hatte ihm niemand die Handgriffe gezeigt. Er hatte dem alten Schmied Lot-Ionans bei seiner Arbeit zugeschaut, mehr war für den Zwerg nicht notwendig gewesen. Immer, wenn der Mann nicht am Amboss gestanden hatte, hatte Tungdil die Gelegenheit genutzt und geübt. Es hatte nicht lange gedauert, und er hatte die einfachen Dinge beherrscht. Jetzt, nach dem Ablauf von mehr als dreißig Zyklen, traute er sich jede Schmiedearbeit zu.
    Tungdil und Sunja betrachteten in sich versunken das wechselvolle Farbenspiel. Orange, gelb, rot, weiß, blau … Die Kohlenbrocken glühten, knackten und knisterten.
    Er wollte sie gerade fragen, was es zum Mittag gäbe, als die Umrisse eines Menschen im hellen Eingang zu sehen waren.
    »Tungdil, komm in die Küche. Wir brauchen dich«, rief ihn Jolosin, ein Famuli der vierten Stufe, befehlend.
    »Geht das ein bisschen freundlicher?«, antwortete er und sagte zu Sunja: »Du fasst nichts an, versprich es.« Schnell steckte er einen kleinen Gegenstand ein, den er geschmiedet hatte, ehe er dem angehenden Zauberer durch die Gänge des unterirdischen Gewölbes folgte, in welchem die Schule des Geduldigen beherbergt war.
    Etwa zweihundert junge und ältere ausgewählte Menschen lernten unter der Aufsicht von Lot-Ionan, worauf es bei der Kunst des Zauberns ankam. Mit der flüchtigen, launischen Magie hatte Tungdil nichts am Hut; sein Reich war die Schmiede, in der er sich nach Herzenslust austobte. Er bevorzugte die Handarbeit sowie ab und zu ein gutes Buch. Der Magus hatte ihn fürs Lesen begeistert.
    Jolosins aufwändig gearbeitete dunkelblaue Robe schwang hin und her, und die gepflegten Haare wippten leicht, was Tungdil zum Grinsen brachte. So was von eitel. Sie bogen in den großen Raum ein, in dem es nach leckerem Essen roch. Über zwei großen Kochstellen hingen Kessel, in denen es brodelte und blubberte.
    Tungdil wusste sofort, weshalb ihn der junge Mann herbeibefahl. Eine Kette, mit der die Behälter über einen Flaschenzug bewegt wurden, hatte sich aus ihrer Halterung gelöst, und der dazugehörige Kessel saß auf der Feuerstelle auf.
    Für eine Frau war die Last zu schwer, und jetzt traute sich keiner von den Magusschülern, die sich sogar beim Küchendienst für etwas Besseres als andere hielten, etwas zu unternehmen. Man könnte sich ja die Finger verbrennen oder gar schmutzig machen – was man den Händen eines Schmieds aber durchaus zumutete.
    Die Köchin, eine stattliche Menschenfrau mit zu vielen Pfunden auf den Hüften, eilte aufgeregt durch den Raum. »Schnell, sonst verbrennt mir mein Gulasch!«, drängte sie und nestelte an dem Haarnetz herum, das in Gefahr war abzurutschen.
    »Das wäre schade. Ich habe nämlich Hunger.« Ohne zu zögern stapfte der Zwerg an den Kamin, prüfte die Kette kurz, ob sie nicht zu heiß geworden war, und umfasste die rußigen Glieder. Seine Muskeln waren mit den Jahren am Amboss gewachsen, selbst der schwerste Hammer hatte mit der Zeit für ihn sein Gewicht verloren. Einen Kessel über einen Flaschenzug anzuheben bedeutete da nur eine geringe Schwierigkeit.
    »Halt das«, verlangte er von Jolosin und reichte ihm die dreckige Kette, »ich muss die Halterung reparieren.«
    Der junge Mann zögerte. »Ist es nicht zu schwer?«, meinte er vorsichtig.
    »Nein. Und falls doch, dann zaubere es dir einfach leichter, wenn du so gut bist, wie du immer tust«, empfahl ihm Tungdil feixend, drückte ihm die Kette in die Hand und ließ los.
    Der Famulus fluchte und stemmte sich mit aller Macht gegen das Gewicht des Kessels. »Sie ist heiß«, jammerte er.
    »Wage es, mein Gulasch zu ruinieren, Bursche«, drohte ihm die Köchin düster und gab es auf,
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