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Die zweite Haut

Die zweite Haut

Titel: Die zweite Haut
Autoren: Dean R. Koontz
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Zweck.«
    Die Mädchen kicherten genau da, wo sie kichern sollten, und Marty konnte sich kaum zurückhalten, sich umzudrehen und nachzusehen, wie es Paige bisher gefiel, da sie es bis zu diesem Augenblick auch noch nicht gehört hatte. Aber niemand würde einen Geschichtenerzähler ernst nehmen, der nicht bis zum Ende seiner Geschichte auf Beifallsbezeugungen warten konnte; eine unerschütterliche Aura der Selbstsicherheit, ob nun gespielt oder echt, war von grundsätzlicher Bedeutung für den Erfolg.
    »Freun wir uns nun auf das große Fest,
    das gar nicht mehr lang’ auf sich warten läßt.
    Ganz sicher wißt ihr, was für ein Tag,
    nicht Ostern noch Pfingsten, gemeint sein mag.
    Nun sagt mir rasch, welcher Tag uns da lacht,
    Ich frag’ euch, ihr Ladies, wie heißt er …?«
    »Weihnacht!« antworteten Charlotte und Emily wie aus einem Mund, und ihre hastige Antwort bestätigte ihm, daß er sie in seinen Bann gezogen hatte.
    »Bald holen wir den Baum herbei.
    Warum nur einen? Vielleicht zwei oder drei!
    Mit Lametta und buntem Schmuck angetan,
    schauen wir ihn noch viel lieber an.
    Mit Lichterketten dann das Dach geziert,
    daß der Rentierschlitten uns finden wird.
    Dann rasch noch mit Streusalz die Ziegeln gewürzt,
    damit Sankt Niklaus nicht ausrutscht und stürzt;
    sonst bricht er sich vielleicht noch ein Bein,
    und wir möchten wirklich nicht schuld daran sein.«
    Er sah die Mädchen an. Ihre Gesichter schienen im Schatten zu leuchten. Ohne ein Wort auszusprechen sagten sie ihm: Nicht aufhören, nicht aufhören!
    O Gott, das gefiel ihm. Und er liebte sie so sehr.
    Wenn es einen Himmel gab, dann war er genau hier und jetzt.
    »Doch höret, was Schlimmes geschehen ist,
    ich hoffe, daß es euch nicht das Fest vermiest.
    Nikolaus wurde gefesselt, geknebelt,
    entführt, gefangen, mit Drogen umnebelt.
    Sein Schlitten steht einsam, verlassen dort,
    und jemand nahm seine Kreditkarte fort.
    Bald räumt man sein Konto ratzeputz ab
    mit dem elektronischen Bankautomat.«
    »Oh-ohh«, sagte Charlotte und kuschelte sich tiefer unter die Decke, »es wird gruselig.«
    »Logisch«, sagte Emily. »Daddy hat es geschrieben.«
    »Wird es zu gruselig?« fragte Charlotte und zog die Decke bis zum Kinn hoch.
    »Hast du Socken an?« fragte Marty.
    Charlotte zog normalerweise Socken im Bett an, außer im Sommer, weil sie immer kalte Füße hatte.
    »Socken?« sagte sie. »Klar. Und?«
    Marty beugte sich nach vorne und dämpfte die Stimme zu einem unheilschwangeren Flüstern. »Weil diese Geschichte erst am Heiligabend zu Ende ist, und bis dahin wird es dir vor Angst bestimmt ein dutzendmal die Socken ausziehen.«
    Er machte ein garstiges Gesicht.
    Charlotte zog die Decke bis zur Nasenspitze hoch.
    Emily kicherte und verlangte: »Komm schon, Daddy, wie geht es weiter?«
    »Über Berge und Täler, weiß und verschneit,
    Silberner Glockenklang tönt weit und breit.
    Und Rentiere ziehn das himmlische Gefährt,
    eine dumme Gans hat sie fliegen gelehrt.
    Der Kutscher kichert, er ist, sind wir ehrlich,
    ein Irrer, ein Schurke, gemeingefährlich.
    Etwas stimmt nicht, man sieht es, o weh und o gratis
    mit diesem falschen Sankt Nikolaus.
    Er sabbert und stammelt und stottert und spuckt,
    hat Anfälle, Krämpfe, zappelt und zuckt;
    seine Augen sind finster, drum holt eins, zwei, drei
    so schnell es geht die Polizei.
    Ein Blick verrät, er ist geisteskrank,
    und aus seinem Mund weht übler Gestank.«
    »Herrje«, sagte Charlotte und zog die Decke bis unter die Augen. Sie tat immer so, als gefielen ihr gruselige Geschichten nicht, aber sie beschwerte sich stets als erste, wenn nicht früher oder später etwas Schreckliches in einer Geschichte passierte. »Wer war es?« fragte Emily. »Wer hat den Nikolaus gefesselt, geknebelt, entführt und seinen Schlitten geraubt?«
    »Vorm Weihnachtsfest hütet euch dieses Jahr,
    denn nun droht eine neue Gefahr.
    Sankt Nikolaus’ Zwilling, der fies und gemein
    schlich heimlich bei seinem Bruder sich ein.
    Und darum, Mütter, seid auf der Hut,
    liebt ihr eure Kinder, dann hütet sie gut;
    denn durch den Kamin und durch den Schlot
    kommt dieser böse, gemeine Idiot!«
    »Ihhh!« rief Charlotte und zog die Decke über den Kopf.
    Emily sagte: »Was hat den Zwillingsbruder des Nikolaus so böse gemacht?«
    »Vielleicht hatte er eine schlimme Kindheit«, sagte Marty.
    »Vielleicht wurde er so geboren «, sagte Charlotte unter der Decke.
    »Können Menschen böse geboren werden?« fragte Emily. Dann beantwortete sie
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