Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die zweite Haut

Die zweite Haut

Titel: Die zweite Haut
Autoren: Dean R. Koontz
Vom Netzwerk:
die Männer zu verabscheuen, die sie ansehen. Es würde ihm größtes Vergnügen bereiten, die Pistole zu ziehen und mehrere Schüsse in ihren Prachtkörper abzufeuern – und einen oben drein mitten in ihr arrogantes Gesicht.
    Ungeheurer Nervenkitzel überkommt ihn beim bloßen Gedanken, ihr die Schönheit zu nehmen. Das findet er faszinierender als ihr das Leben zu nehmen. Er schätzt das Leben gering, Schönheit dagegen hoch ein, da sein eigenes Leben häufig unerträglich öde ist.
    Glücklicherweise liegt die Pistole im Kofferraum des gemieteten Ford. Er hat die Waffe genau aus dem Grund dort gelassen, der Verlockung aus dem Weg zu gehen, wenn er sich zu so einer Gewalttat hingezogen fühlt.
    Manchmal verspürt er zwei- oder dreimal täglich das Verlangen, jeden zu vernichten, der in seiner Nähe ist – Männer, Frauen, Kinder, einerlei. Im Bann dieser finsteren Anwandlungen haßt er jede Menschenseele auf dem Antlitz der Erde – sei sie schön oder häßlich, reich oder arm, klug oder dumm, jung oder alt.
    Vielleicht beruht sein Haß teilweise darauf, daß er anders ist als sie. Er muß immer als Außenseiter leben.
    Aber schlichte Entfremdung ist nicht der Hauptgrund dafür, daß er ab und zu an wahllose Gemetzel denkt. Er braucht etwas von anderen Menschen, das sie nur unwillig hergeben, und weil sie es ihm verweigern, haßt er sie mit einer Inbrunst, daß er zu jeder Greueltat fähig wäre, obwohl er keine Ahnung hat, was er eigentlich von ihnen erwartet.
    Das geheimnisvolle Bedürfnis ist manchmal so intensiv, daß es Schmerzen bereitet. Es ist ein Verlangen wie die Gier eines Verhungernden – aber keine Gier nach Nahrung. Häufig steht er zitternd am Rand der Offenbarung; ihm wird klar, daß die Antwort erstaunlich einfach ist, wenn er sich ihr nur öffnen kann, aber stets entzieht sich ihm die Erleuchtung.
    Der Killer trinkt einen kräftigen Schluck aus der Flasche Becks. Er will das Bier, braucht es aber nicht. Wollen ist nicht brauchen.
    Auf der erhöhten Bühne nimmt die Blondine das Oberteil ab und entblößt blasse, aufwärts gerichtete Brüste.
    Wenn er die Pistole und den Munitionsvorrat aus dem Kofferraum des Autos holt, verfügt er über neunzig Schuß. Wenn die arrogante Blondine tot ist, könnte er die andere Tänzerin töten. Dann die drei muskelbepackten Barkeeper mit drei Kopfschüssen. Er ist ausgezeichnet im Gebrauch von Schußwaffen unterrichtet – aber er kann sich nicht daran erinnern, wer ihn ausgebildet hat. Wenn diese fünf tot sind, kann er in die fliehende Menge zielen. Viele, die nicht durch Schüsse sterben, würden von der panischen Menge totgetrampelt werden.
    Der Gedanke an ein Gemetzel erregt ihn, und er weiß, Blut kann ihn zumindest vorübergehend das quälende Verlangen vergessen lassen, das ihn peinigt. Er hat den Teufelskreis schon öfter erlebt: Verlangen führt zu Frustration; Frustration wird zu Wut; Wut schlägt in Haß um; Haß erzeugt Gewalt – und Gewalt kann manchmal besänftigend wirken.
    Er trinkt mehr Bier und fragt sich, ob er verrückt ist.
    Er erinnert sich an einen Film, in dem ein Psychiater dem Helden versichert, daß nur geistig gesunde Menschen an ihrer geistigen Gesundheit zweifeln. Echte Irre sind stets fest von ihrer Vernunft überzeugt. Daher muß er geistig gesund sein, da er imstande ist, daran zu zweifeln.

7
    Marty lehnte am Türrahmen und sah zu, wie die Mädchen nacheinander vor dem Frisiertisch im Schlafzimmer Platz nahmen, damit Paige ihnen das Haar bürsten konnte. Beiden fünfzigmal.
    Vielleicht lag es am einförmigen Rhythmus der bürstenden Bewegungen oder an der beruhigenden häuslichen Szene, daß Martys Kopfschmerzen nachließen. Wie auch immer, die Schmerzen verschwanden.
    Charlottes Haar war golden, wie das ihrer Mutter, das von Emily dagegen so dunkelbraun, daß es fast schwarz wirkte, wie das ihres Vaters. Beim Bürsten schwatzte Charlotte fast ununterbrochen mit Paige; aber Emily blieb stumm, krümmte den Rücken, schloß die Augen und genoß das Bürsten mit fast katzenhaftem Vergnügen.
    Die unterschiedlichen Hälften ihres gemeinsamen Zimmers bescheinigten weitere Unterschiede zwischen den Schwestern. Charlotte mochte Poster voller Bewegung: bunte Heißluftballons vor einem Wüstenhintergrund; eine Ballettänzerin mitten in einem Entrechat; rennende Gazellen. Emily bevorzugte Poster mit Herbstlaub, tief verschneiten Nadelbäumen, mondbeschienener silberner Brandung an einem hellen Strand. Charlottes Bettdecke war grün,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher