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Die zweite Fahrt zur Schatzinsel

Die zweite Fahrt zur Schatzinsel

Titel: Die zweite Fahrt zur Schatzinsel
Autoren: Robert Leeson
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sich. „Es ist ungeheuerlich!“
    Ich hatte mich vom Kamin
verzogen, bevor sie eintrat, und da sie mich nicht einmal ansah, konnte ich sie
unbeobachtet mustern. Schlank und hübsch, ganz in Schwarz, ein französisches
Kleid mit schmaler Taille, tief geschnittenem Mieder und Spitzenkragen, eine
elegante junge Witwe. Ich hatte solche schon früher gesehen — obwohl immer in
Trauer, nicht in Zorn. Ihre Augen funkelten. Ich wartete und beobachtete. Das
sah nach noch mehr Aufregung aus.
    „Alice, meine...“
    Er kam nicht weiter.
    „Ihr habt gesagt, Ihr habt es
deutlich gesagt, daß Betsy mir persönlich zu Diensten stünde. Und jetzt finde
ich, daß sie zu allen möglichen Dingen herangezogen wird, so daß sie nicht da
ist, wenn ich sie rufe.“
    „Zu allen möglichen Dingen?“
    „Allerdings! In der Küche, da
wäscht sie irgendeinen Bengel, den der Doktor auf der Straße aufgelesen hat.“
    Ich trat in die Ecke zurück,
ganz aus dem Kerzenlicht hinaus. „Aber Alice, seid vernünftig“, (schöne
Hoffnungen hatte er) „wenn wir so wenig Personal im Haus haben, müssen alle mit
zugreifen.“
    „Außerdem“, fuhr der Squire
fort, jetzt ein wenig verdrießlich, „vergeßt nicht, ich habe Betsy selbst
gekauft.“
    Lady Alice zupfte ein
Taschentuch aus den Spitzen und preßte es gegen die Augen. Das Gesicht des Squire verfinsterte sich. „Wie kann es Euch gefallen, mir
meine Armut vorzuwerfen? Und mein armer Mann nicht lange…“ Man hörte ein
schwaches Schniefen hinter dem Tüchlein, und der Doktor stand auf und streckte
die Hand aus.
    Runter kam das Taschentuch.
    „Wenn er lebte, brauchte ich
mir solche — solche Erniedrigung nicht gefallen zu lassen.“ Sie machte eine
Pause. „Überhaupt war Betsy ein vorteilhafter Kauf, den Euch dieser Schuft von
einem Agenten, Blandly, in Bristol verschafft hat.“
    „Allerdings“, sagte der Squire
mit wärmerer Stimme, „und ein guter Kauf ist sie, immer bereit, mit zuzupacken.
Noch nicht einmal fünfzehn, aber fähig und willens, alles zu tun, was im Haus
nötig ist.“
    „Allerdings, zu willig für
alles andere, außer dem Dienst bei mir.“ Lady Alice trat ein paar Schritte zur
Seite, und ich schlüpfte aus ihrem Gesichtsfeld hinaus.
    „Es ist nicht zum Aushalten!
Dieser Haushalt wird von einer Köchin, einem Mädchen, einem Diener, einem
Gärtner, einem Kutscher und einem betrunkenen Torhüter geführt, und ich muß
meine Bedürfnisse für das Vergnügen eines Gassenjungen drangeben.“
    „Ihr wißt, wie eng wir den
Gürtel schnallen müssen, Alice, meine Liebe“, schmeichelte der Squire. „Wenn auch
nicht mehr allzulange, hoffe ich. Ich spekuliere da auf ein paar Dinge.“
    Der Doktor blickte überrascht
über den Kamin.
    „Sagt nichts weiter...“
    Was dieser auch nicht tat.
    „Spekulieren“, schnaubte Lady
Alice.
    „Alles, was Ihr tut, ist über
Spekulationen zu reden. Es hat nichts als Gerede gegeben seit dieser Reise vor
fünfzehn Jahren mit dem Doktor und — Master Hawkins.“
    „Gewiß, und die brachte Euch
eine Aussteuer ein.“
    „Jetzt werft Ihr mir also die
Aussteuer ins Gesicht?“ wütete Lady Alice. „Oh, wenn mein Mann noch... Ich
brauchte nicht solche... zu ertragen.“ Sie tupfte sich die Wangen, ihre Augen
waren gerötet.
    „Wenn Ihr der Mann wäret, der
Ihr einst wart, würdet Ihr ein Schiff ausrüsten und aufbrechen und diese
Silberbarren holen, von denen Ihr so viel redet ..
    Der Squire sah bestürzt aus und
hob den Finger an die Lippen. „Wenn mein Mann noch lebte, der würde nicht
warten, der würde nicht rauchend und tratschend am Feuer sitzen, der würde...
Ihr könnt mir nicht den Mund verbieten, Sir.“
    Der Doktor sprach besänftigend.
„Lady Alice, das war alles vor fünfzehn Jahren, und, wie Ihr sagt, wir sind
alle viel älter...“ Sie zuckte die Schultern und erinnerte sich dann, warum sie
gekommen war.
    „Ich bestehe darauf, daß Ihr
Betsy aus der Küche kommen laßt und ihr sagt, wo ihre Pflichten liegen.“
    Der Squire nickte mir kaum
sichtbar zu. Wie für ein altes, blindes Pferd war das genug für mich. Auf der
Suche nach Betsy schlüpfte ich aus dem Raum, und Lady Alice sah mich nicht
gehen. Für jemand anderen war ich ebenfalls zu schnell. Als ich die Tür aufriß,
sprang Betsy, die sich draußen über das Schlüsselloch gebeugt hatte, mit einem
Satz zurück, der ihr weißes Kleid herumwirbelte. Ich grinste sie an.
    „Ich soll dich aus der Küche
holen, Betsy. Laß uns lieber die Zeit für zehn Schritte
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