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Die Zweierbeziehung

Die Zweierbeziehung

Titel: Die Zweierbeziehung
Autoren: Jürg Willi
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ihn nicht wirklich liebe, dass sie nicht beziehungsfähig sei. Je wichtiger es dem Mann ist, die sexuelle Performance als Selbstbestätigung wahrzunehmen, desto größer ist die Gefahr, dass er verstimmt ist, wenn die Frau mehr Rücksichtnahme und Verzicht einfordert. Die Gefahr, dass beide sich zurückziehen und weitere Versuche aufgeben, ist erheblich. Nicht selten sucht der Mann in dieser Situation eine andere Sexualpartnerin, was das Problem aber in keiner Weise löst. Häufig entwickelt die Frau in dieser Situation eine sogenannte sexuelle Aversion, die so weit gehen kann, dass sie keinerlei Berührungen mehr erträgt. Versuche des Mannes, sich ihr mit Zärtlichkeiten zu nähern, schlagen dann meist fehl. Wichtig wäre, dass die Frau lernt, zu sich zu stehen, auch wenn damit die sexuelle Aktivität des Paares stark eingeschränkt ist. Sexuelle Aktivität ist bei Vorliegen einer sexuellen Aversion nur möglich, wenn die Frau den Mut hat zur selbstbestimmten Intimität und zum Verzicht von fremdbestimmten Aspekten. Eine wichtige Voraussetzung ist, dass der Mann Geduld zu üben versteht und bereit ist, die Zurückhaltung der Frau zu respektieren. D AVID S CHNARCH betont, dass es der Partner mit dem schwächeren Begehren ist, der die Kontrolle über die gemeinsame Sexualität ausübt.
    Das Modell der Kollusion des sexuellen Begehrens

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11. Von der Kollusion zur Koevolution
    11.1. Koevolution in der Zweierbeziehung Koevolution in der Zweierbeziehung
    Das Kollusionsmodell ermöglicht mit einem einfachen Schema ein vertieftes Verständnis für die Pathologie der Paarbeziehung. Das Modell entwickelte sich aus der Praxis der Paartherapie und hat einen hohen Grad an Plausibilität. Dementsprechend hatte dieses Buch 1975 bei Fachleuten wie Laien hohe Beachtung gefunden. Das Kollusionskonzept hat sich ursprünglich aus psychoanalytischen Modellvorstellungen entwickelt. Die Partner können gewisse angstbesetzte Bedürfnisse leben, in einer Form, die gleichzeitig die komplementären angstbesetzten Bedürfnisse des Partners zufriedenstellt. Eine Kollusion ist ein uneingestandenes, oft unbewusstes Zusammenspiel der Partner bei der Gestaltung ihrer Paarbeziehung. Trotz fortbestehenden Beziehungsängsten kann das Eingehen einer Partnerbeziehung gewagt werden, weil sie durch die komplementären Verhaltensbereitschaften des Partners kontrollierbar und abgesichert erscheinen. Das Kollusionskonzept bewährt sich für die Erfassung und das Verständnis von Pathologie. Der Nachteil dabei ist, dass der Blick eben einseitig auf die Pathologie der Paarbeziehung gelenkt wird. Das therapeutische Ziel besteht darin, den abgewehrten und dem Partner delegierten Anteil in sich zu integrieren und damit die Polarisierung der Abwehr zu reduzieren. Auf die orale Kollusion übertragen, geht es darum, dass der regressive Partner sich nicht nur vom Partner umsorgen lässt, sondern selbst auch progressive Anteile entwickelt und übernimmt. Etwa durch Übernahme von «Mutterfunktionen». Der progressive Partner andererseits soll sich nicht nur als Helfer profilieren, sondern soll zulassen, sich umsorgen und verwöhnen zu lassen, ohne befürchten zu müssen, dadurch klein und abhängig gemacht zu werden.
    Mit dem Buch «Koevolution – Die Kunst gemeinsamen Wachsens» (1985) distanzierte ich mich von der einseitigen Sicht der Beziehungspathologie. Ich erweiterte die Perspektive auf die Koevolution, also auf die Herausforderung persönlicher Entwicklung durch die Paarbeziehung. Das Konzept der Koevolution habe ich in den Büchern «Was hält Paare zusammen?» (1991) und «Psychologie der Liebe» (2002) eingehend beschrieben. Ausgangspunkt des koevolutiven Ansatzes der Paartherapie ist die Herausforderung der gegenseitigen persönlichen Entwicklung der Partner durch die Liebesbeziehung. In einer Liebesbeziehung werden die Partner voneinander gefordert. Die vielfältigen Aspekte der Liebesbeziehung sind in besonderer Weise geeignet, eine Fülle unerledigter Traumatisierungen zu aktivieren, aber ebenso auch Hoffnungen, diese mit Hilfe der Beziehung zu bewältigen.

11.2. Das idealtypische Bild einer koevolutiven Beziehung
    Zwei suchende Menschen finden in der Liebe zusammen und entscheiden sich, ihren Lebensweg gemeinsam zu gehen, einander zu begleiten, zu unterstützen, herauszufordern und sich miteinander kritisch auseinanderzusetzen. Sie werden wechselseitig einen starken Einfluss auf ihre persönliche Entwicklung ausüben, ohne
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