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Die Zweierbeziehung

Die Zweierbeziehung

Titel: Die Zweierbeziehung
Autoren: Jürg Willi
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sich vom anderen bestimmen zu lassen und ohne die Verankerung in sich selbst zu verlieren. Ihre Verständigung wird trotz aller Bemühungen begrenzt bleiben und gelegentlich das Gefühl der Einsamkeit in der Liebe entstehen lassen. Verständigung und Auseinandersetzung fördern den persönlichen Klärungsprozess und festigen die persönliche Entwicklung und Differenzierung. Die Beziehung gewinnt Sinn und Stabilität durch die Gestaltung einer gemeinsamen inneren und äußeren Welt, durch die gemeinsame Geschichte und die gemeinsamen Werke, die ihre Spuren hinterlassen.
    Liebespartner können auseinander die besten persönlichen Möglichkeiten herauslieben, eine enttäuschte Liebe allerdings kann auch die schlechtesten Möglichkeiten zum Vorschein bringen. Jeder hofft in der Liebesbeziehung sein intimstes persönliches Potenzial zu entfalten und zu verwirklichen. Dieses Potenzial kann sich am ehesten entfalten, wenn es in der Beziehung zu einem Liebespartner hervorgerufen und beantwortet wird. Um diese Beantwortung differenziert und engagiert zu erhalten, muss der Selbstentfaltung des Partners ebenso Sorge getragen werden wie der eigenen. Eine Liebesbeziehung kann die wichtigste Herausforderung persönlicher Entwicklungen im Erwachsenenalter sein und ist mit Leiden verbunden, durch welches persönliches Wachstum und Reifung gefördert werden können.

11.3. Die koevolutive Fallkonzeption Koevolutive Fallkonzeption
    Wir gehen von der Annahme aus, dass die Partner einander persönliche Entwicklungen ermöglichen, ja herausfordern. Das Verliebtsein basiert wesentlich auf der Hoffnung, mit Unterstützung des Partners Entwicklungen vollziehen zu können, die bisher nicht möglich waren. Im Zusammenleben fordern die Partner einander zu Entwicklungen heraus, sie unterstützen einander in der Entwicklung und strukturieren diesen Prozess. Aber es kann auch sein, dass sie Entwicklungen verhindern, begrenzen oder einander überfordern bzw. unterfordern. Für die therapeutische Fallkonzeption gehen wir von der Frage aus, welche Entwicklungen die Partner einander ermöglichen bzw. welche sie gemeinsam vermeiden. Kollusionen sind Möglichkeiten, sich in der progressiven oder regressiven Rolle zu verwirklichen. Das mag zunächst ein Entwicklungsprozess sein, der jedoch als Kollusion die persönliche Entfaltung in Freiheit behindert. Die Partnerschaft gerät in eine Krise, wenn anstehende Entwicklungen nicht vollzogen, sondern abgewehrt und vermieden werden. In der Paartherapie soll die anstehende Entwicklung für Mann und Frau identifiziert werden.
    Entscheidende Fragen in der Paartherapie sind:
    Was hat sich in der Zeit vor der Krise in der Beziehung oder den Lebensumständen verändert?
Welche Entwicklungen in der Gestaltung der Beziehung stehen jetzt an und werden durch die veränderten Lebensumstände den Partnern abgefordert?
Welche neuen Lebensumstände oder persönlichen Entwicklungen der Partner behindern die gemeinsame Entwicklung, welche begünstigen sie? Konflikte in der Partnerschaft werden als Entwicklungskonflikte wahrgenommen und behandelt.

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12. Therapeutische Gesichtspunkte
    12.1. Die Schwierigkeiten der Psychoanalytiker mit der Paartherapie
    Schätzungsweise 40 bis 60 Prozent der Klientel einer psychotherapeutischen Praxis suchen primär Hilfe wegen gestörter Partnerbeziehungen. Man müsste somit als selbstverständlich annehmen, die Paartherapie wäre eine der bestentwickelten und weitestverbreiteten Formen von Psychotherapie. Das Gegenteil trifft zu. Trotz dem in den letzten Jahren rasch wachsenden psychologischen Interesse für Paarkonflikte gibt es heute erst ganz wenige ausgebildete Psychotherapeuten, die sich für Paarbehandlungen engagieren.
    Viele Analytiker, die ich befragt habe, antworten, die analytische Theorie sei so komplex, dass sie sich überfordert fühlten, diese auf zwei Individuen auszuweiten. Sie möchten sich lieber auf die therapeutische Beziehung zu nur einem Individuum beschränken, auf das Feld, für das sie sich kompetent fühlen. Das Wesentliche einer neurotischen Beziehungsstörung werde sich ohnehin in der Übertragungsbeziehung zum Analytiker zeigen und könne da viel direkter bearbeitet werden. Leider wird dabei oft zu wenig beachtet, wie sehr die Beziehungsstörung in einer konkreten Paarbeziehung erst im verhängnisvollen Zusammenspiel mit dessen realem Partner manifest wird, sich erst aus der Interdependenz zweier Interaktionspersönlichkeiten ergibt und
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