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Die Zweierbeziehung

Die Zweierbeziehung

Titel: Die Zweierbeziehung
Autoren: Jürg Willi
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Verhältnisse ist es schwierig bis unmöglich zu entscheiden, wer wen dominiert. Ich halte deshalb in Anlehnung an W ATZLAWICK , B EAVIN und J ACKSON die Begriffe des Partners in superiorer Position und des Partners in inferiorer Position für zutreffender. Der superiore Partner ist in der Regel aktiver, wortreicher, entscheidungsfreudiger und initiativer. Er vertritt das Paar gegen außen und übernimmt Führungsfunktionen. Der inferiore Partner ist häufig introvertierter, stiller, er tritt weniger in Erscheinung, bestimmt Entscheidungen mehr aus dem Hintergrund und lenkt das Geschehen, ohne für sich die Führerrolle zu beanspruchen.
Er braucht deswegen dem Partner in superiorer Position keineswegs unterlegen zu sein.
    Selbst wenn tatsächlich der eine der Stärkere ist, lässt es die Paardynamik nicht zu, dass er von seiner Stärke Gebrauch macht. Der Mann ist gehemmt, seine körperliche Überlegenheit für den Austrag ehelicher Streitigkeiten auszunützen. Greift er aber darauf zurück, so wird das gesellschaftlich geächtet und als Zeichen persönlicher Schwäche gewertet. Liegen also Ungleichheiten in Qualitäten, die das Selbstwertgefühl stützen, vor, so dürfen sie nicht für den Austrag ehelicher Auseinandersetzungen ausgenützt werden. Es gilt als unfair, den Partner zu erniedrigen durch Bemerkungen über effektiv bestehende Benachteiligungen, zum Beispiel mangelnde Schulbildung, körperliche Behinderungen und Entstellungen. Ein unausgesprochenes Gesetz verbietet, im Kampf von der einseitigen Überlegenheit gewisser Mittel Gebrauch zu machen. Man muss sich vielmehr weitgehend den Kampfmethoden des «rüstungsmäßig Schwächeren» anpassen. In Duellen und Sportwettkämpfen wird streng auf die Chancengleichheit der Kämpfer geachtet. Man lässt nicht einen Schwergewichtsboxer auf einen Federgewichtler los. In der Ehe kann das zu grotesken Situationen führen, wenn ein Mann, der politisch ein überlegener Taktiker ist, zu Hause auf plumpes Streitverhalten abfällt oder wenn ein Berufsboxer einen Suizidversuch unternimmt, nachdem er von seiner körperlich zarten Frau geschlagen worden ist.
    Bei der Partnerwahl wird die Gleichwertigkeit meist aus eigener Intuition beachtet. Schon in einem ersten Gespräch zweier einander unbekannter Personen dient der Gesprächsinhalt wesentlich der gegenseitigen Einschätzung. Auch Murray B OWEN (1972) betont, dass der Differenzierungsgrad zweier Partner im Allgemeinen einander gleich sei. Das Gefühl des eigenen Selbstwertes kann durch unterschiedliche Attribute belegt werden, durch Nachweis von Intelligenz, Stärke, Schönheit oder Reichtum, aber auch durch persönliche Reife, der Fähigkeit, sich in einen Partner einzufühlen, ihm beizustehen und ihn zu bestätigen. All diese Qualitäten wiegen in einer potenziellen Paarbeziehung das, was sie dem Partner wert sind. So kann ein berühmter Greis eine Hausangestellte heiraten, die ihm in ihrer gemütswarmen Mütterlichkeit weit mehr bedeutet als eine ihm dauernd Außergewöhnliches abfordernde Anbeterin. Oder ein aktiver Manager fühlt sich von seiner adligen Ehefrau überfordert, die dauernd an ihm herumnörgelt, und sieht sich nach einer Beziehung zu einem einfachen Mädchen um, das in ihm jene Persönlichkeitsseiten anspricht, die unter seinem Karrierestreben verschüttet worden sind. Im Allgemeinen beruht aber das Gefühl von Gleichwertigkeit auf Ähnlichkeit sozialer und persönlicher Qualitäten. Rein intuitiv wird es in der Regel vermieden, sich mit einem Partner enger einzulassen, der bezüglich Differenzierung überlegen ist, da man sich ihm nicht gewachsen fühlen würde und man deshalb in der Beziehung besonders gefährdet wäre. Andererseits wird man sich in der Regel auch nicht an einen Partner binden, der wesentlich undifferenzierter ist, da die Beziehung zu ihm allzu kümmerlich und schmalspurig bleiben müsste. Bilden aber Partner ungleichen Differenzierungsgrades ein Paar, so setzt ein gegenseitiger Angleichungsprozess ein.
    Der Partner mit höherem Differenzierungsgrad versucht sich mittels Selbstsabotage nach unten anzugleichen, mittels Bescheidenheits- und Demutsgesten, Einengung der eigenen Möglichkeit, ja sogar mit psychosomatischen Krankheiten, durch die er sich selbst einen Riegel vor die eigenen Entwicklungsmöglichkeiten schieben will. Besonders Frauen leben häufig «unter ihrem Wert», um nur ja nicht den Anschein zu geben, sie könnten dem Manne überlegen sein.
    Beispiel 1: Als sich das Paar
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