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Die Zweierbeziehung

Die Zweierbeziehung

Titel: Die Zweierbeziehung
Autoren: Jürg Willi
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Angst vor Überforderung oder Bestrafung, wenn er für sich reifere Verhaltensweisen anstreben würde; mancher fixiert sich in der progressiven Position, weil er sich regressiver Verhaltensweisen schämen würde. In unserem Kulturraum besteht teilweise vor allem bei Migranten die Tendenz, progressive Verhaltensweisen vor allem dem Mann zuzuschreiben, regressive aber der Frau. Der Mann hat sich als allzeit überlegen, stark und lebenserfahren zu erweisen, als ritterlicher Beschützer und Stütze der Frau, während regressives Verhalten wie Suchen von Schutz und Trost, schwächliche Anklammerungsbedürfnisse und Unselbständigkeit immer noch als unmännlich gelten. Da aber Männer in der Regel wohl kaum wesentlich reifer und in der Entwicklung vorangeschrittener sein dürften als Frauen, fühlen sie sich oft gezwungen, sich zum Scheine progressiv aufzuspielen und ihre regressiven Kommunikationswünsche zu unterdrücken und zu verleugnen. Andererseits gelten auch heute noch, wenn auch sicherlich weniger als vor einigen Jahrzehnten, regressive Verhaltensweisen als besonders fraulich. Viele Männer fühlen sich besonders angezogen von Frauen, die in ihnen Halt und Stütze suchen, sich an sie anlehnen wollen, an ihnen emporblicken, ihnen kindlich vertrauen und naiv daherplaudern. Manche Frauen sind forciert bemüht, sich auf das schwächlich-regressive Stereotyp der «Idealfrau» zu bescheiden, obwohl das gar nicht ihrer eigentlichen Verfassung entspricht. Sie geben sich dann betont «weiblich», indem sie alle aktiven, sogenannt männlichen Verhaltensweisen in sich unterdrücken. Die Frau tut dann so, als ob sie schwach wäre, benützt aber oftmals gerade ihre Schwäche, um sich gegen die großtuerischen Männer durchzusetzen. Das Zusammenspiel des scheinstarken Mannes mit der scheinschwachen Frau zeigt sich in der «hysterischen Ehe» in übersteigerter Form. Davon wird später noch ausführlich die Rede sein.
    Bei Beziehungsstörungen sehen wir besonders häufig die Verbindung eines Partners, der das Bedürfnis nach überkompensierender Progression hat, mit einem Partner, der das Bedürfnis nach regressiver Verwöhnung spürt. Sie verstärken und fixieren sich gegenseitig in diesem einseitigen Verhalten, weil sie sich wechselseitig in diesen Funktionen benötigen. Die neurotische Verstrickung eines progressiven mit einem regressiven Partner wird in diesem Buch eingehend als Kollusion beschrieben werden.

2.3. Die Gleichwertigkeitsbalance Gleichwertigkeitsbalance
    In einer beiderseits glücklichen Beziehung stehen die Partner zueinander im Gefühl der Gleichwertigkeit. Gemeint ist damit nicht nur die Gleichberechtigung einer partnerschaftlichen Beziehung und auch nicht das Gleichsein in Verhalten und Funktionen, sondern die Ebenbürtigkeit der Partner im Selbstwertgefühl. Es kann einer von beiden Partnern die äußere Führung des Paares innehaben und die mit äußerem Prestige versehenen Aufgaben wie beruflicher Status, Verwaltung des Geldes, Vertretung des Paares gegenüber den Behörden usw. übernehmen, ohne dass diese Regel verletzt sein muss. Die genauere Kenntnis der Verhältnisse kann nämlich ergeben, dass die scheinbar so passive Frau aus dem Hintergrund heraus die Aktionen ihres Mannes in ebenbürtiger Weise mitbestimmt, ja nicht selten ist der Mann mehr das ausführende Organ der im Grunde maßgeblichen Frau. Auch kann sich die Frau einem Mann durchaus gleichwertig fühlen, obwohl nur dieser eine berufliche Karriere macht, solange beidseitig anerkannt ist, dass sie am Aufstieg ihres Mannes einen entscheidenden persönlichen Anteil hat als dessen Beraterin und Führerin, ja als «Nährboden», aus dem er die Kräfte für seine Erfolge schöpft. Das Gefühl, für die beruflichen Leistungen des Mannes unentbehrlich zu sein, kann einer Frau dazu verhelfen, sich mit seinem beruflichen Erfolg zu identifizieren. Das Bewusstsein gleichen Wertes kann aus der Erfüllung ganz verschiedener Funktionen herrühren, etwa wie im traditionellen Beziehungsmuster, wo der Mann quasi das Außenministerium, die Frau das Innenministerium der Familie übernimmt. In vielen Kulturen ist die Frau als Mutter das emotionale Zentrum der Familie und bezieht aus dieser Funktion ein hohes Maß an Selbstbestätigung.
    In der psychologischen Umgangssprache ist es üblich, bei Ehepaaren von einem dominanten und von einem unterlegenen Partner zu sprechen. Diese Begriffe werden unreflektiert verwendet, denn bei genauerer Kenntnis der
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