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Die Zweierbeziehung

Die Zweierbeziehung

Titel: Die Zweierbeziehung
Autoren: Jürg Willi
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kennenlernte, war der Mann Verkäufer in einem Warenhaus, die Frau eine vier Jahre ältere Philologieassistentin mit Hochschulabschluss. Er stammte aus einer Arbeiterfamilie, sie aus einer wohlhabenden, etablierten Akademikerfamilie. Er war im Industrieviertel aufgewachsen, sie in einer Villa. Nach wenigen Wochen Bekanntschaft wurde sie von ihm schwanger. Sie drängte auf rasche Heirat. Er fühlte sich für eine Ehe noch zu jung, willigte aber aus Verantwortungsbewusstsein schließlich ein. Jetzt, nach 12-jähriger Ehe, geben beide an, sich in jeder Hinsicht, auch sexuell, auseinandergelebt zu haben. Er verbringt jede Woche mehrere Abende und auch ganze Nächte im Tennisklub, wo bei «Wein, Weib und Gesang» Feste gefeiert werden. Die Frau ist verbittert, weil sie das Gefühl hat, ihre besten Jahre dem Mann geopfert zu haben, und wirft ihm vor, er bemühe sich nicht mehr um sie.
    Er ist ein kräftiger, gutaussehender, sympathischer Sportsmann, der aber im Gegensatz zu ihr intellektuell wenig differenziert und geistig uninteressiert wirkt. Er betont, seine Frau und vor allem auch die Schwiegereltern hätten die Ehe von Anfang an als nicht standesgemäß betrachtet. Der Schwiegervater spreche mit ihm praktisch kein Wort. Er fühlt sich im Tennisklub wohl. Dort habe er seinen Spaß. Die Frau fände aber seine Freunde zu primitiv. Sie ist mit dem bewussten Entschluss in die Ehe eingetreten, etwas aus dieser Beziehung zu machen. Von allen Seiten sei ihr vor dieser Heirat abgeraten worden. Sie habe sich aber gesagt: «Es wird zwar schwer sein, aber ich werde es schaffen.» Sie glaubte, wenn sie sich ihm ganz anpasse und ihre Seite nicht so betone, so werde es schon gehen. Sie gab ihren Bekanntenkreis und all ihre intellektuellen Interessen auf. Sie begann Tennis zu spielen und wollte sich in allem ihm angleichen. Sie arrangierte für ihn einen kaufmännischen Schnellkurs und betrieb seinen beruflichen Aufstieg. Er aber fühlte sich um sie herum nicht wohl. Er hatte den Eindruck, sie anerkenne und akzeptiere ihn im Grunde seines Wesens nicht, sondern wolle ihn immer nur «verbessern». Sie berichtet mit Erbitterung: «Ich habe mich dir ganz angepasst und alles für dich aufgegeben. Ich dachte, du könntest mehr aus dir machen, wenn du nur wolltest, und davon bin ich auch heute noch überzeugt. Wenn du nur in kleinen Dingen deinen guten Willen zeigen würdest, aber du willst einfach nicht.» Er entgegnet, zu Hause nörgle seine Frau dauernd an ihm herum. Nichts könne er ihr recht machen. Er glaube einfach, er sei zu jung zum Heiraten gewesen und habe zu viel aufgeben müssen. Erbost erwidert sie: «Was aufgeben? Du hast überhaupt nichts aufgegeben. In allem habe ich mich dir angepasst.» Verbittert ist sie vor allem über seine außerehelichen Beziehungen zu Tennispartnerinnen, die allesamt «oberflächliche dumme Gänse» seien. Offensichtlich fühlt er sich von diesen Frauen eher verstanden und akzeptiert.
    Ziel einer Therapie wäre hier, dass die Frau darauf verzichtet, dem Mann eine falsche Haltung aufzudrängen, was ihr aber nur möglich wäre, wenn sie sich nicht für ihn aufzugeben versuchte, sondern ihr eigenes Wesen zu entfalten trachtete. Bei der Verschiedenheit der bildungsmäßigen und intellektuellen Differenzierung befürchten wohl beide zu Recht, dass die beidseitige Akzeptation des eigenen Selbst zur Scheidung führen werde, weil die echten Berührungsflächen zwischen ihnen zu gering seien. Die Gleichwertigkeitsbalance kann, wie dieses Beispiel zeigt, nicht einfach überspielt werden.
    Auch wenn bei der Heirat die Regel der Gleichwertigkeit beider Partner oft befolgt ist, so ist damit noch nicht gewährleistet, dass das Gleichgewicht des Selbstwertes Gleichgewicht des Selbstwertgefühls im Laufe des langjährigen Zusammenlebens erhalten bleibt. Unter den heutigen gesellschaftlichen Bedingungen hat der Mann durch berufliche Leistungen eine große Chance, sein Selbstwertgefühl zu heben, während die Frau in der Funktion als Hausfrau und Mutter sich wenig bestätigt fühlt. Es besteht dann eine besondere Gefahr, dass die Frau den Mann voller Neid und Eifersucht zu entwerten sucht. Während sie ihn zu Beginn der Beziehung unterstützte und förderte, legt sie nun alles darauf an, an ihm herumzunörgeln und ihn in seiner Entwicklung zu hemmen und vom Podest herunterzuholen. Der Mann seinerseits lässt sich eventuell aus Schuldgefühlen zu Hause wie ein Hund traktieren, den man beliebig treten und
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