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Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition)
Autoren: Luca Tarenzi
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Begriff, stärker zu werden als er, stärker als jedes andere irdische Hindernis. Ich zwinkerte und erkannte Ivan durch die Wellen aus silbrigem Licht hindurch.
    »Die Peitsche, Ivan!«, schrie ich. »Die Peitsche!«
    Er schüttelte den Kopf, es war eine verzweifelte Geste. »Nein …«
    »Du musst!«, schrie ich. »Nimm die Peitsche! Ich bitte dich …«
    Ich sah ihn den Boden absuchen, sich bücken und mit der Peitsche in der Hand wieder erheben. Aber er kam nicht näher.
    Das Mondlicht war gleißend hell, ich sah nichts als Licht.
    »Ivan! …«
    »Nein!«
    »Ivan, lass mich nicht im Stich … Ich flehe dich an … Tu es! … Tu es, BITTE !!«
    Ich spürte, wie die Grenzen meines Körpers sich auflösten und eins wurden mit der Luft und dem Licht, ich hörte Ivans Schrei, das Sausen der Peitsche und ein Heulen, das das ganze Himmelsgewölbe erfüllte. Noch bevor ich den Schlag spürte, wurde alles schwarz.
    Das Erste, was ich wahrnahm, war die weiche, aber unbequeme Oberfläche, auf der ich lag. Das Zweite war ein süßlicher, vertrauter Geruch, den ich zwar kannte, aber nicht gleich benennen konnte.
    Ich zog mich zum Sitzen hoch, zu schnell offenbar: Mir wurde sofort schwindelig, und ich fiel wieder zurück. Ich hatte das Gefühl, ein Dutzend Schmetterlinge verschluckt zu haben.
    Ich war am Leben!
    Voller Staunen sah ich mich um: Ich lag auf dem Rücksitz eines Autos. Eines Autos, das ich kannte. Man hatte mich mit einer Männerjacke zugedeckt, und auch sie kannte ich – es war die Jacke meines Vaters, der süßliche Geruch kam von seinem Kölnischwasser. Ich roch es jeden Morgen, wenn ich mit ihm beim Frühstück saß.
    »Bleib liegen«, kam jetzt seine Stimme vom Fahrersitz. »Wir fahren gleich nach Hause.«
    Durch das Fenster sah ich schwache bunte Lichter.
    »Wo sind wir? …«
    »Wir stehen vor einem Krankenhaus. Dein Freund bringt gerade seinen Vater hinein.«
    Ich brauchte einige Sekunden, um seine Worte in mich aufzunehmen. »Ist er am Leben? … Der Professor, meine ich.«
    »Ja. Aber es geht ihm ziemlich schlecht: Er hat vermutlich ein Schädeltrauma und ziemlich viele Knochenbrüche.«
    Ich versuchte von Neuem, mich aufzusetzen, und diesmal gelang es mir einigermaßen. Mein Vater hatte sich zur Hälfte zu mir umgedreht und sah mich im Halbdunkeln an. In seinen Augen lag eine Zärtlichkeit, die ich noch nie darin gesehen hatte.
    »Der Conte … Der Mann, den ihr angefahren habt …«
    »Er war nicht mehr da. Wir haben ihn nicht weglaufen sehen, aber bevor wir losgefahren sind, habe ich ihn überall gesucht, ohne die kleinste Spur von ihm finden zu können. Nur der Stock war noch da, mehrfach zerbrochen. Aber dein Freund meinte, es sei besser, ihn zurückzulassen.«
    Ich schloss die Augen.
    »Was ist passiert? Wie habt ihr es angestellt …«
    Mir fehlten die Worte.
    »Ich habe das Handy in deinem Zimmer klingeln hören. Also bin ich aufgestanden, um dich zu bitten, es auszuschalten, damit deine Mutter nicht geweckt würde. Aber du warst nicht da. Dann hat das Handy wieder geklingelt, ich bin rangegangen, und dein Freund war dran. Er schien völlig verzweifelt und hat mir vieles erzählt. Dann ist er zu uns nach Hause gekommen.«
    Ich versuchte, den Sinn des Gehörten zu verstehen.
    »Wie hast du es angestellt, mich zu finden?«
    Er schüttelte den Kopf, ein Lächeln auf den Lippen. »Mein Kind, du hast mehr Spuren hinterlassen als eine Katze auf frischem Zement. Die Adresse der Baustelle im Computer; die Taxinummer auf dem Handy.«
    Trotz allem musste ich lachen, aber das Lachen blieb mir sprichwörtlich im Halse stecken und ein stechender Schmerz fuhr mir durch den Kopf.
    Mein Vater streckte sich nach hinten, um die Jacke, die als meine Zudecke fungierte, zurechtzuziehen. »Sei ganz ruhig. Sobald dein Freund zurückkommt, fahren wir nach Hause.«
    Ich schloss die Augen und legte mich wieder hin. »Mama …«
    »Sie schläft, die Glückliche.«
    Ich lauschte auf das Geräusch unseres Atems im Wageninneren.
    »Papa, ich …«
    »Sag jetzt lieber nichts. Du solltest dich nicht anstrengen. Wir werden über alles reden, wenn es dir besser geht.«
    »Aber ich … ich habe dir nie was gesagt …«
    Ich spürte, wie er mir eine Hand auf die Stirn legte. Sie war angenehm kühl. »Es ist schwierig, zu reden, wenn man in deinem Alter ist. Sehr schwierig, mein Schatz. Aber das macht nichts. Auch wenn wir nicht reden, bin ich immer für dich da. Ich bin dein Vater. Ich hab dich lieb. Ich bin immer für dich
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