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Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition)
Autoren: Luca Tarenzi
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die Stimme von der ersten Silbe an erkannt.
    Conte Gorani kam auf uns zu, seinen Stock in der Hand, seinen Mantel flatternd im Wind. Als sich unsere Blicke begegneten, fühlte ich eine so starke Erleichterung, dass ich für einen Moment sogar das Gewicht des Kreises vergaß. Dann wanderte sein Blick wieder zu Ivans Vater.
    Sie musterten sich wie zwei Raubtiere, die an den Grenzen ihrer Territorien aufeinandertrafen, und auch wenn sie sich zum ersten Mal begegneten, bestand kein Zweifel, dass jeder der beiden wusste, wen er vor sich hatte.
    Ivans Vater schwang die Peitsche in der Luft.
    »Geh zur Seite, Priester des Lupercus.« Die Stimme des Conte, wenngleich ruhig und kontrolliert, tönte in beeindruckender Fülle über das Gelände. »Dein Gott kommt nicht, um deine Peitsche knallen zu hören. Die Zeit des Lupercals ist vorbei: Jemand anderes wird von jetzt an die Aufgabe übernehmen, den Herrn der Wälder bei seiner Rückkehr zu empfangen!«
    Sein Gegenüber antwortete nur mit einem Knurren.
    Mich mit beiden Händen abstützend versuchte ich, aufzustehen, aber der Kreis drückte mich mit solcher Kraft zu Boden, dass ich nicht weiterkam als bis auf die Knie. Ich zwinkerte die Tränen aus meinen Augenlidern.
    »Ich fordere dich nochmals auf, das Feld zu räumen.« Der Ton des Conte war jetzt schärfer geworden. »Zum letzten Mal.«
    Mit überraschender Entschlossenheit ging der Professor drei Schritte vor und stellte sich zwischen mich und den Conte.
    »So sei es denn.« Mit flatterndem Mantel beugte sich der Conte nach vorn und schöpfte Wasser aus einer Pfütze. Dann richtete er sich zu seiner ganzen Größe auf und blies über das Wasser in seiner Hand.
    Es war, als würde ein heißer Sturmwind über die Welt hinwegfegen. Ich sah, wie die Blütenblätter erzitterten und ein wenig durcheinanderflatterten, als würde der Kreis im nächsten Moment in Stücke zerfallen. Aber ob es nun die feuchte Erde war, die sie hielt, oder der Zauber, der sie durchdrang, es flogen nur wenige weg, und der Kreis blieb intakt.
    Über uns zerriss ein Blitz den Himmel und ließ einen ohrenbetäubenden Donner folgen: Ich hob die Augen und sah, wie sich die Wolken bewegten . Wie im Zeitraffer zogen sie auf eine Seite des Himmels, ballten sich dort zusammen und fingen an, im Kreis herumzuwirbeln und einen schwindelerregenden Strudel zu bilden. Darunter, auf der Erde stand der Conte, hoch aufgerichtet, umweht von heftigen Windstößen, die ihn beinahe davontrugen. Eine seiner Hände war jetzt zur Faust geschlossen, die andere umklammerte noch immer den Stock.
    Ivans Vater wich zurück, den Arm schützend vorm Gesicht: Mit einem Ruck wickelte er sich die Peitsche um die Hand und schrie etwas, versuchte mit ganzer Kraft, das Heulen des Windes zu übertönen; dann klemmte er sich das andere Peitschenende zwischen die Zähne und band den Riemen zu einem Knoten.
    Der Conte schnappte nach Luft, griff sich an die Kehle und ließ den Stock fallen. Ivans Vater zog den Knoten noch fester, gleichzeitig mit der Hand und den Zähnen daran reißend, sodass der Conte nach hinten taumelte, als würde er von einem unsichtbaren Strick stranguliert. Doch im nächsten Moment schrie der Professor.
    Ich sah, wie ein halbes Dutzend Geisterhände aus dem Dunkel der Nacht nach ihm griffen und ihn an Armen und Haaren gepackt hielten. Ich hätte es mir denken können: Der Conte war nicht allein gekommen, nicht ohne seine Alliierten. Er hatte die Toten mitgebracht.
    Eine durchsichtige Hand mit langen, trockenen Fingern schloss sich um das Handgelenk des Professors und riss daran, bis ihm die Peitsche aus der Hand fiel. Der Conte, der sich nun wieder frei bewegen konnte, stürzte sich auf seinen Stock und schleuderte ihn mit beiden Händen so heftig zu Boden, dass Schlamm aufspritzte. Wie auf Befehl stürzte eine Sturmlawine vom Himmel herunter, brachte Ivans Vater zu Fall und ließ ihn wie eine leere Flasche davonrollen.
    Und dann, ganz plötzlich, machte sich ein nie gekanntes Gefühl in mir breit, ein unbeschreibliches Gefühl, das mich gleichzeitig verbrühte und zu Eis gefrieren ließ. Ich hob den Kopf und fixierte den Mond, er stand voll und sehr hell zwischen den Wolkenfetzen, die ihn nun nicht mehr verbergen konnten. Ich wusste, dass der Moment gekommen war.
    Wie aus weiter Ferne nahm ich wahr, dass der Professor sich aufgerappelt hatte und Beschwörungen rufend auf mich zugerannt kam. Aber ich konnte jetzt weder ihm noch dem Conte oder dem Kreis meine
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