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Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition)
Autoren: Luca Tarenzi
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Sie warf mir einen raschen und alles andere als unschuldigen Blick zu, bevor ihr brauner Pagenkopf hinter einer Toilettentür verschwand.
    Ich beendete mein Händewaschen und wollte schon den Raum verlassen, blieb dann aber doch stehen.
    Giada war nicht unbedingt eine Freundin von Angela und ihren Kumpaninnen: Dazu fehlten ihr die ästhetischen und sozialen Requisiten. Aber ich hatte sie des Öfteren dabei beobachtet, wie sie Elena und Susanna zuhörte und dabei mit einem servilen Grinsen immer wieder beifällig nickte. Jeder Hof braucht nun mal auch seine Lakaien.
    Ich versuchte mich zu erinnern, ob auch sie auf dem Fest gewesen war, aber umsonst. Die Logik ließ allerdings auf Ja tippen: Es war schließlich Elenas Fest gewesen.
    Ich wartete, bis Giada wieder aus der Kabine kam. Bei meinem Anblick fuhr sie zusammen. Offensichtlich hatte sie nicht damit gerechnet, mich noch hier anzutreffen.
    Sie drehte den Wasserhahn auf und tat so, als würde sie mich gar nicht zur Kenntnis nehmen, aber ich postierte mich direkt neben sie. Sie wurde ganz steif. Unter normalen Umständen hätte sie mir vielleicht leidgetan, aber nicht jetzt.
    »Warum habt ihr heute Morgen alle gelacht?«, fragte ich sie unvermittelt. »Was hat Angela da angedeutet?«
    Giada starrte ihre eingeseiften Hände an und antwortete nicht.
    Ich setzte in schneidendem Ton hinzu: »Was verheimlicht ihr vor mir?«
    Der fiese Ton gelang mir gut, das wusste ich; manchmal übte ich ihn auch vor dem Spiegel. Und in diesem Moment hatte ich nichts sonst, um dem Gefühl zu begegnen, dass die ganze Welt sich gegen mich verschworen hatte.
    »Hast du wirklich keine Ahnung?« Giada hatte eine ziemlich unangenehme Stimme, die die Vokale überbetonte. »Erinnerst du dich denn nicht?«
    Ich zögerte, aber nur einen Augenblick. »Nein.«
    Giada schluckte. »Angela hat gesagt, …« Sie holte Luft, als ob sie drauf und dran wäre, gleich loszurennen. »… dass wir dir nichts verraten sollen.«
    Und jetzt rannte sie tatsächlich los, sie stürzte förmlich nach draußen, obwohl noch die Seife von ihren Händen tropfte.
    Ich blieb allein zurück, unfähig, mich zu bewegen, starrte ich auf die halboffene Tür, einem Chaos an Emotionen ausgeliefert. Verwirrung, Scham und mehr als alles andere: Wut.

K apitel 3
    Montag, 9. Februar

    N ach Schulschluss regnete es in Strömen. Ich legte den Weg bis zur Metro rennend zurück. Wegen all der aufgespannten Regenschirme war auf dem Fußweg kaum ein Durchkommen, und – ein weiterer unsympathischer Unterschied zwischen Mailand und Ravenna – es gab keine überstehenden Dächer, die Schutz vor der Sintflut geboten hätten. Als ich die Treppen zur Metro hinunterstürzte, tropfte es aus meinen Haaren und von meinen Ärmeln; die weißen Wölkchen, die mein Atem produzierte, waren so dicht, dass ich fast nicht mehr hindurchsehen konnte.
    Auf dem Bahnsteig, inmitten all der Menschen, die in ihre Mittagspause strömten, bückte ich mich und betastete durch die Jeans hindurch, die inzwischen eher bräunlich grau als weiß waren, meinen Knöchel: Es tat gar nicht mehr so weh. Ich schüttelte ungläubig den Kopf: Heute Morgen konnte ich damit praktisch nicht auftreten, und jetzt war ich sogar schon wieder gerannt.
    Zu Hause empfingen mich eine mucksmäuschenstille Wohnung, ein Mittagessen zum Aufwärmen und eine Nachricht von meiner Mutter. Letztere lugte unter den dicklichen Füßen von Ganesha hervor, dem fetten indischen Gott mit dem Elefantenkopf, der in unserer Küche als heiliger Tafelaufsatz fungiert.
    Ich schleuderte die tropfende Jacke auf den Garderobenhaken und ging erst mal ins Bad, um meinen Schal, der klatschnass und vollgesogen war wie ein Schwamm, im Waschbecken auszuwinden. Ich hielt ihn mir unter die Nase, er roch nach nasser Wolle. Sonst nichts. Kein Rauch, kein Alkohol, kein Gestank. Alles weg.
    Meine Mutter war im Tai-Chi-Unterricht. Auf ihrem Zettel setzte sie mich darüber in Kenntnis, dass sie am Nachmittag später als gewöhnlich heimkommen würde, und zwar aufgrund von nicht weiter präzisierten Verpflichtungen. Umso besser, dachte ich, während ich das Gas unter dem Topf anzündete, ohne auch nur einen Blick hineinzuwerfen: Ich hatte einen Haufen Englisch-Hausaufgaben und musste mich auf einen blöden Italienischtest vorbereiten. Die Anwesenheit eines Menschen, der unfähig war, auch nur ein Regalbrett abzustauben, ohne dabei ein Liedchen zu trällern, wäre mir dabei keine große Hilfe gewesen.
    Ich ließ mich
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