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Die Zwanziger Jahre (German Edition)

Die Zwanziger Jahre (German Edition)

Titel: Die Zwanziger Jahre (German Edition)
Autoren: Theo Zwanziger
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unserer Halbfinalniederlage nach Kiew geflogen, wo die Finanzkommission und das Exekutivkomitee der Uefa tagten. Meine Kollegen haben zum krönenden Abschluss das Finale der Europameisterschaft besucht, doch ich bin nicht ins Stadion gegangen. Mein Entschluss stand lange fest, bevor ich wusste, dass die deutsche Mannschaft nicht beteiligt sein würde. Ich wollte mich nicht zu dem ukrainischen Präsidenten auf die Tribüne setzen und mich instrumentalisieren lassen. Ich halte mich nicht für so wichtig, um mir einzubilden, dass diese Geste irgendetwas bewirkt. Aber es ist für mich eine Frage der Selbstachtung. Auch wenn es unter meinen Uefa -Kollegen den einen oder anderen geben mag, der ähnlich denkt wie ich, auch wenn die meisten meine Haltung zumindest respektieren: Die meisten leben ihr Mandat sehr intensiv. Und dazu gehören auch Privilegien, wie beim EM -Endspiel auf der Tribüne zu sitzen und gesehen zu werden.
    Auch vom Uefa -Präsidenten hätte ich mir gewünscht, dass er ein deutliches Zeichen für die Menschenrechte setzt. Das Protokoll hätte genug Möglichkeiten geboten, dem Präsidenten der Ukraine klarzumachen, dass wir nicht auf seiner Seite stehen, wenn er die Menschen in seinem Land unfair behandelt. Mehr als Gesten kann man vom Sport nicht verlangen, aber wenn wir Stellung beziehen und unsere Distanz demonstrieren, dann geht das Kalkül der Machthaber nicht auf, dass sie mit dem Event Europameisterschaft ihre Stellung stärken können.
    Das erste Bild, das ich im Fernsehen von dieser Euro sah, war die Ehrentribüne in Warschau, auf der unser Uefa -Präsident Michel Platini nicht nur den polnischen, sondern auch den ukrainischen Präsidenten neben sich sitzen hatte. Was mögen die Menschen in der Ukraine gedacht haben, die unter der Diktatur leiden?
    Michel Platini hat es weit von sich gewiesen, sich einzumischen, und hat erneut das genauso abgegriffene wie falsche Argument benutzt, er kümmere sich nur um Fußball und habe mit Politik nichts zu tun. Niemand kann erwarten, dass ein Fußballverband die Probleme löst, an denen Politik und Diplomatie scheitern, aber keiner hindert uns daran, eine eindeutige Haltung einzunehmen und ein Zeichen zu setzen, dass die europäische Fußballfamilie sehr viel Wert legt auf die Einhaltung der Menschenrechte, auf Meinungsfreiheit, Toleranz und demokratische Regeln.
    Ein formloses Treffen mit Oppositionellen, ein verweigerter Handschlag mit den Machthabern, eine andere Choreografie bei der Pokalübergabe – solche kleinen Zeichen können viel bewirken.Wie eindrucksvoll wäre es gewesen, wenn die Mannschaftskapitäne im Halbfinale Statements verlesen hätten, die sich nicht nur gegen Rassismus, sondern gegen jede Art von Menschenrechtsverletzungen richten? Wenn Transparente gezeigt worden wären, die für Toleranz und Meinungsfreiheit werben?
    Man muss Michel Platini zugutehalten, dass er beispielsweise zum Thema Rassismus eine ganz deutliche Haltung hat, deren Konsequenz im Exekutivkomitee nicht von allen geteilt wird. Vor allem viele Südeuropäer können es nicht nachvollziehen, dass die Uefa deutliche Maßnahmen bis hin zum Spielabbruch vorschreibt, wenn es zu rassistischen Ausschreitungen kommt. Aber ich bin überzeugt: Wenn ein sauberer Sport sich an Werten orientieren soll, dann müssen diese Werte auch durchgesetzt werden. Ein Spielergebnis, das durch rassistische oder andere diskriminierende Entgleisungen auf den Rängen oder am Spielfeldrand beeinflusst wird, kann kein gerechtes Resultat sein. Deshalb müssen wir da eingreifen, auch wenn es nicht jeder verstehen mag.
    Aus den Stadien der Bundesliga ist der Rassismus weitgehend verschwunden, auch wenn man solche Dummheiten wohl nie ganz ausrotten kann. Seit den Achtzigerjahren hat sich die Situation deutlich gebessert, häufig sorgt schon die soziale Kontrolle durch die Tribünennachbarn dafür, dass diskriminierende Zurufe oder Sprechchöre sofort unterbunden werden. An diesem veränderten Bewusstsein vieler Stadionbesucher hat auch der DFB mit seiner Aufklärungsarbeit einen gewissen Anteil. In den unteren Spielklassen sind wir in Deutschland nicht überall schon genauso weit, da muss noch viel Arbeit geleistet werden. Wie verschiedene Vorkommnisse bei der EM in Polen und der Ukraine gezeigt haben, besteht anderswo in Europa in dieser Hinsicht noch reichlich Nachholbedarf.
    Seit März 2009 gehöre ich dem Exekutivkomitee der Uefa an. Der europäische Verband hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten
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