Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zwanziger Jahre (German Edition)

Die Zwanziger Jahre (German Edition)

Titel: Die Zwanziger Jahre (German Edition)
Autoren: Theo Zwanziger
Vom Netzwerk:
wo unsere Mannschaft ja dreimal gespielt hat und die DFB -Delegation jeweils einen ganzen Tag zu verbringen hatte, ein paar Journalisten mitzunehmen und ein Treffen mit einer Oppositionsgruppe zu organisieren, um sich die Probleme des Landes mal aus deren Perspektive schildern zu lassen. Wir wissen, dass beispielsweise der Boxer Vitali Klitschko sich in seinem Heimatland aufseiten der Opposition engagiert; ihm wäre es gewiss eine Freude gewesen, eine solche Zusammenkunft mit DFB -Offiziellen und Presseleuten zu organisieren.
    Wenn sich die Herrschenden und Mächtigen, die Unterdrücker und Menschenrechtsverletzer auf den VIP -Tribünen zeigen dürfen, dann muss es unsere Aufgabe sein, auch den Minderheiten eine Stimme zu geben.
    Ich denke allerdings nicht, dass es eine gute Idee gewesen wäre, in den ukrainischen Stadien mit orangefarbenen Schals herumzulaufen, wie es die Grünen-Politikerin Renate Künast vorgeschlagen hat. Mir hat auch die Fixierung auf die inhaftierte Politikerin Julia Timoschenko nicht gefallen. Es kann nicht darum gehen, sich aus der Ferne zu einer politischen Partei zu bekennen, die mal die Mehrheit im Land gehabt und sie wieder verloren hat. Es geht um die Menschenrechte, wie sie in der UN -Charta von 1948 aufgeschrieben sind, die für jeden gelten und auf deren Einhaltung wir achten sollten.
    Wir Deutsche haben nicht nur in Warschau und Auschwitz Schuld auf uns geladen, sondern auch in Lwiw, dem früheren Lemberg, und in Kiew, wo während der deutschen Besatzung Hunderttausende Menschen ermordet wurden. An eindrucksvollen Zeugnissen der Vergangenheit mangelt es auch in der Ukraine nicht. Fast in Rufweite zum Stadion von Kiew, wo das EM -Endspiel stattgefunden hat, liegt die Gedenkstätte Babij Jar. Ich habe sie während der EM besucht und war erschüttert von der Wirkung dieses Orts, an dem im September 1941 mehr als 30 000 ukrainische Juden unter deutscher Verantwortung ihr Leben gelassen haben. Sie wurden in die Schlucht hineingetrieben und dort massenweise erschossen. Doch damit nicht genug: Als die Russen auf dem Vormarsch waren, ließen die Deutschen die Leichen von Zwangsarbeitern wieder ausgraben und verbrennen, um ihre Verbrechen zu vertuschen. Unglaublich, wozu Menschen fähig sind.
    Vor dieser grausamen Vergangenheit die Augen nicht zu verschließen und dann den Blick auf die Gegenwart zu richten, die in diesem Land von Unrecht und Unterdrückung geprägt ist – das wäre eine richtige Geste gewesen. Auch hierzu spricht der Schriftsteller Albert Ostermaier klare Worte: »Es geht hier nicht um Schuldzuweisungen oder eine Selbstgeißelung, es geht um permanente Aufklärung. Der Fußball findet nicht in einem luftleeren, isolierten Raum statt, sondern es existiert immer eine historische Konnotierung.« Der Einsatz für die Werte, an die wir glauben und denen wir verpflichtet sind, sollte sich nicht darin erschöpfen, dass wir uns erinnern und Kränze niederlegen. Die Botschaft der Menschenrechte muss genau dort verkündet werden, wo die Menschenrechte aktuell missachtet werden.
    Die Fußballer sollen nun nicht an jeder Gedenkstätte auflaufen und ihre Betroffenheit zur Schau stellen. Aber Auschwitz, Lemberg, Babij Jar, das sind besondere Orte, die uns Deutsche speziell angehen. Jedes für sich ein »Denk-mal« im Sinn des Wortes: Hier muss man einfach mal nachdenken über das, was da geschehen ist, wie es dazu kommen konnte, dass Männer, Frauen, kleine Kinder zu Tausenden vernichtet wurden.
    Wer von solchen Dingen nichts mehr wissen will, hilft mit, dem Unrecht den Weg zu bereiten. Erst verschließen wir die Augen vor Diktatur, Unterdrückung und Folter, am Ende stehen dann nicht selten solche Verbrechen. Das Gegröle und die Aufmärsche der Neonazis bringen die Leute noch nicht um, aber man muss sehen, wo das enden kann, wenn man nicht den Anfängen Einhalt gebietet. Die Fußballer meinen es gewiss nicht böse, wenn sie die Anregung eines »Denk-mals« nicht immer umsetzen. Doch die Gedankenlosigkeit ist der Feind der Demokratie, und im Fußball gibt es reichlich davon. Die Funktionäre kommen nicht von selbst drauf, sie machen ja jetzt Kerngeschäft. Ich kann es geradezu hören, wie sie die Hinweise auf ihre Sprachlosigkeit zu Babij Jar und die ukrainische Diktatur beantworten würden: »Aber wir waren doch in Auschwitz!«
    Günter Netzer sagte: »Auch Sportfunktionäre sollten politischer sein.« Wieder einmal bin ich seiner Meinung.
    Die Rolle der Uefa
    Ich bin in der Nacht nach
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher