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Die Zunge Europas

Die Zunge Europas

Titel: Die Zunge Europas
Autoren: Heinz Strunk
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kamen mir zwei junge Mädchen entgegen. Ururenkelinnen auf Stippvisite oder so etwas. Partnerlook: Sandalen, Jeansminirock, bauchfreie, eng anliegende Unterhemden. Braungebrannt, dezent geschminkt. Die Kleinere hatte ein sehr zartes, von einer Art Retropagenschnitt umschlossenes Gesicht und schmale grüne Augen. Sie sah ein wenig indisch aus. Ihre Freundin war mit dem etwas herben Gesicht, den hohen Wangenknochen und den blonden Haaren, die sie zu zwei Zöpfen geflochten hatte, der nordische Typ.
    Wunderschöne, anmutige Wesen, die niemals schwitzen,Schmetterlinge, leicht und flüchtig. In ihren unergründlich hellen Augen liegt ein phosphoreszierendes Glimmen, ihre trugbildschönen Körper sind von winzigen, daunenartigen Härchen bedeckt, die blassroten Münder gleichen aufgeplatzten Kirschen. Erhöhte Geschöpfe, von denen ein irisierendes Leuchten ausgeht, das der Welt neue Farbe verleiht. Schwermut, Krankheit, Alter und Armut können ihnen nichts anhaben, denn sie haben recht: Das Leben geht immer weiter, aber sie werden niemals sterben!
    Was dachte ich mir da eigentlich zusammen? So ein Quatsch. Als sie an mir vorübergingen, holte ich tief Luft. Wenn ich mir nur die Lungen mit ihrem Duft vollpumpen könnte, auf Vorrat! Wenn sie doch anhielten und mich küssten. Ich musste mich zusammenreißen, um sie nicht anzuglotzen, doch das wäre gar nicht nötig gewesen, sie plapperten fröhlich und registrierten mich überhaupt nicht. Wahrscheinlich ist es so, wie oft gesagt wird: dass die Jugend die Zeit des Glücks ist, die einzige im Leben.
    Verlassen ist der Holderstrauch,
    An dem ich einst geküsst.
    Es blieb ein Duft, der wie ein Hauch
    Aus fernen Tagen ist.
    Noch immer hör ich jenes Lied,
    Das einst die Nachtigall uns sang.
    Wenn auch mein Herz wie einst noch blüht,
    Mir wird so abschiedsbang.
    Wenn ich mich auch zu trösten weiß
    Mit Lachen und Humor,
    Aus meinem Aug stiehlt sich ganz leis
    Ein kleines Tränchen vor.
     
    Auf der Heide blühn die letzten Rosen,
    Braune Blätter fallen müd vom Baum
    Und der Herbstwind küsst die Herbstzeitlosen,
    Mit dem Sommer flieht manch Jugendtraum.
    Möchte einmal noch ein Mädel kosen,
    Möcht’ vom Frühling träumen und vom Glück.
    Auf der Heide blühn die letzten Rosen,
    Ach, die Jugendzeit kehrt nie zurück.
    Holde Jugend, holde Jugend,
    Kämst du einmal noch zu mir zurück!
    Heino: Auf der Heide blühn die letzten Rosen. So kann man’s auch sagen. Heino ist übrigens der Größte, da können die Spießer stänkern, wie sie wollen. Alte deutsche Fahrtenlieder mit Gitarrenrhythmus und im modernen Arrangement. Derartiges gab es vorher nicht und wird’s so schnell auch nicht wieder geben.
    Ich musste leider wieder ausatmen. Die Begegnung hatte maximal fünfzehn Sekunden gedauert. Nun komm mal wieder runter. Werd mal wieder normal. Lächerlich. Verwirrte Gedanken, lächerliche Klagen. Ich war aber auch empfindlich heute. Wahrscheinlich lag’s an der Fingergeschichte. Ich dachte ein paarmal «geiler Arsch, geile Titten, elende Fickmäuse» vor mich hin, dann ging es mir ein bisschen besser. Aus welchen Löchern kommen im Sommer eigentlich die geilen Weiber gekrochen, diesich während der dunklen Jahreszeit nie blicken lassen? Die könnten sich mit vormariniertem Discounter-Grillfleisch einschmieren und würden immer noch top aussehen. Und geile Ärsche haben die. Sagenhaft, was die Weiber heutzutage für geile Ärsche haben. Früher hatten nur Sabine Freudenthal und Petra Barsties welche. Wenn überhaupt. Vielleicht liegt das an der Ernährung oder dass sie statt ewig Rückenschwimmen und Weitsprung schon mit zwölf Problemzonensport betreiben. Egal. Ich drehte mich um und sah sie um die nächste Ecke verschwinden.
     
    Ich finde nicht statt. Eine Schimäre, ein Schattenriss, ein Dunkelmensch, ein mit dünnem Strich Skizzierter. Die Mädchen hätten auch fünf oder zehn oder fünfzehn oder zwanzig Jahre älter sein können, es spielte keine Rolle. Genauso wenig, wie es eine Rolle spielt, ob ich nun sieben Kilo mehr oder neun Kilo weniger wiege, eine Fleischmütze habe oder keine, behaart bin oder blank, käseweiß oder tiefbraun, Jeans oder Smoking, Abba oder Zappa, Dings oder Dings: Es ist
vollkommen egal
. Würstchen im Schlafrock, Pflaume im Speckmantel, die Lage ist hoffnungslos, ich löse bei anderen Menschen einfach keine sexuellen Wünsche aus. Sinnlichkeit und Leidenschaft bedeuten für Männer wie mich eine Bedrohung. Wir können nicht mithalten, wir sind
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