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Die Zunge Europas

Die Zunge Europas

Titel: Die Zunge Europas
Autoren: Heinz Strunk
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machen Sie da eigentlich?»
    Er schaute mich traurig an und sagte mit belegter Stimme:
    «Tja, Kofferraumdeckel geht nicht zu.»
    Kofferraumdeckel. Was für ein deprimierendes Wort. Deprimierende Worte, deprimierende Welt: Jojo-Diät, Kofferraumdeckel, Weight Watchers, Atkins, Fettwaage, Schleifkorbtrage, Fatburner, Alarmstufe Rahmstufe, FDH, Vierfachkinn, Sauklumpen, Dickenturnen, Röllchenalarm, high & mighty undundundoderoderoder.
    In Wahrheit ist es nämlich so: Nichts schmeckt so gut, wie Dünnheit sich anfühlt.
    Allerdings interessiere ich mich schon von Berufs wegen auch für die komischen Aspekte der Adipositas, und es ist mir eine liebe Gewohnheit geworden, Zeitschriften und Zeitungen nach einschlägigen Meldungen zu durchforsten. Jedem durchschnittlich informierten Mitteleuropäer dürfte ja mittlerweile bekannt sein, dass man in einer Viertelstunde Dauerlauf/​11 kmh/​Ebene 188   Kalorien (100   Gr. Romadour, 20   % Fett i. Tr.) verbraucht, dass Radfahren jedoch nur 98   Kalorien bringt (2   Pfirsiche) und 15   Minuten Standardtanz gerade mal mit lächerlichen 50   Kalorien (100   Gramm Zuckermelone) zu Buche schlagen. Standardwissen.
    Weniger bekannt sein dürfte, dass
nach Würmern graben
272   Kalorien verbrennt,
den Hund waschen
238,
Graffiti
überstreichen
342 und
auf Krücken gehen
340   Kalorien. Und: Durch das ständig steigende Körpergewicht der U S-Autofahrer erhöht sich der Benzinverbrauch in den USA seit 1960 um knapp 3,8   Milliarden Liter pro Jahr. Sachinformationen.
    Weiter geht’s: Fettschwarten am Rücken sehr dicker Menschen nennt man «Tannenbäume», die herunterhängende, schlaffe Haut des Bauches «Rollläden», und Fettansammlungen am Hals verursachen das sog. Treppenkinn. «Treppenkinn» und «Kartoffelknie» kann man in extremer Großaufnahme übrigens nicht voneinander unterscheiden. Das aus dem Hosenbund quellende Fett heißt ab sofort nicht mehr «Hüftgold» . (das Wort ist verbraucht, ausgelutscht, öde), sondern «Elchschaufeln». (Anweisung von ganz oben – also von mir.) Dann gibt es noch Salz und Pfefferstreuer, Winkfleisch und gelblich unter der Haut schimmernden Flimmerspeck. Das schönste Wort, von dem ich leider nicht weiß, was
genau
es bedeutet: «Zigeuner des Körpers». Magisch. Zigeuner des Körpers, was mag wohl dahinterstecken? Egal. Stand der Dinge: Kofferraumdeckel geht nicht zu. Mein größter und in Wahrheit einziger Wunsch: mit nacktem Oberkörper Holz hacken, ohne dass es scheiße aussieht. Glück kann so einfach sein.
    Ich trank einen Schluck Kaffee und pulte an meinem Hinterkopf herum. Vor kurzem habe ich dort eine kahle Stelle ausgemacht, die sich unaufhaltsam ausdehnt (Steigerung: speckig, jetzt noch Haarausfall/​stimmt aber leider). Kommt mir jedenfalls so vor. Dieser Tonsur genannte, kreisrunde Haarausfall ist im Vergleich mit einersich allmählich lichtenden Stirn die eindeutig schlechtere Variante der Kahlköpfigkeit. Der Volksmund nennt es verächtlich
Fleischmütze
. Außerdem haben sich meine Leberflecke vermehrt. Der große an der Wade, treuer Begleiter seit der Kinderzeit, franst an den Rändern aus, angeblich kein gutes Zeichen. Der Leberfleck, Fleck des kleinen Mannes. Um meine buschigen Augenbrauen hingegen muss ich mir keine Sorgen machen, die fallen nie aus, es sieht eher so aus, als würden sie bald in der Mitte zusammenwachsen. Augenbrauenhaare, Brusthaare, Bauchhaare, Pohaare, Haare, Haare, Haare. An
Depritagen
habe ich schon die Anschaffung eines Ladyshavers erwogen, den ich aus Tarnungsgründen im Fach mit den abgelaufenen Medikamenten aufbewahren könnte. Ich bin davon überzeugt, dass viele Männer heimlich einen Ladyshaver besitzen, ein namenloses Heer von Blindrasierern, die vor der metrosexuellen Diktatur in die Knie gegangen sind, und jedes noch so kleine Härchen mit einer Batterie von Rasierapparaten, Bunsenbrennern, Epiliergeräten und Feuerzangen sofort an der Wurzel wegbrennen oder ausgraben. Ob es in anderen Kulturkreisen so etwas wie Nacken-, Rücken- oder Pofriseure gibt?
     
    Ab und an frage ich mich, was die Stammgäste des «Pustekuchen» von mir denken, falls sie sich überhaupt jemals Gedanken über mich machen. Beruf. Hobbys. Vorlieben. Eigenarten. Abgründe. Warum ich z.   B. sonntags immer exakt um die gleiche Zeit für genau eine Stunde komme, immer allein, und nie etwas esse. Mich fragt natürlich keiner, und wenn, würde ich die Antwort für mich behalten:Das «Pustekuchen» ist eine
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