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Die Zunge Europas

Die Zunge Europas

Titel: Die Zunge Europas
Autoren: Heinz Strunk
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vorhatte, und ließ mich mit der Tasche keine Minute allein.
    «Und, was hast du die Woche gemacht? Hast du gut zu tun?»
    «Nee, im Moment ist die Auftragslage schlecht, es ist ja auch noch Urlaubszeit, und bei der Hitze   …»
    «Aber du lieferst doch gute Arbeit!»
    «Das liegt nicht an mir, sondern daran, dass es der Branche insgesamt schlechtgeht. Hab ich dir doch alles schon erklärt.»
    «Das kann doch kein Mensch behalten, Markus. Guck mal, wir haben damit nie etwas zu tun gehabt, da vergisst man vieles wieder. Wir sind doch schon alte Leute. Und wenn dein Beruf keine Zukunft hat, musst du dir eben etwas anderes suchen.»
    «Ich weiß auch nicht, wie es weitergehen soll. Aber vielleicht geschehen ja noch Zeichen und Wunder.»
    Sie schaute mich an wie immer. Meine Güte, anderen Enkeln werden zum Abschied diskret Geldbündel in Hose und Jacke gestopft! Oma war der Überzeugung, dass ich nur deswegen kein Bein auf die Erde bekam, weil ich weder eine Ausbildung noch ein Studium abgeschlossen hatte. Ich hatte tatsächlich noch nicht einmal in eine Universität
hineingeschnuppert
. Alles Quatsch. Als Wünschelrutengänger benötigt man schließlich auch keinen akademischen Abschluss. Vielleicht hoffte Oma ja immer noch, dass ich sie zu ihrem neunzigsten Geburtstag mit einem frisch unterzeichneten Ausbildungsvertrag überraschen würde. Bis dahin konnte ich Pfandflaschen oder Ähnliches sammeln.
    «So, ich muss dann mal wieder.»
    «Ach, Markus, jetzt schon? Es ist noch nicht mal drei!»
    «Oma, ich hab dir doch gerade erklärt, wie schlecht es läuft. Und das heißt Überstunden. Mich fragt keiner, ob gerade Wochenende ist oder nicht. In meiner Branche muss man ständig in Vorleistung treten.»
    «Kommst du nächsten Sonntag denn wieder?»
    «So wie es aussieht, ja.»
    «Was heißt das? Ich muss mich doch darauf einstellen!»
    «Mensch, Oma, wie oft bin ich mal nicht gekommen? Und zu 95   Prozent komm ich auch nächsten Sonntag. Ich kann es nur nicht
garantieren

    «Na gut. Aber ruf rechtzeitig an. Und melde dich mal zwischendurch.»
    «Jaja.»
    «Wie geht es eigentlich Sonja?»
    «Soweit ich weiß, ganz gut.»
    «Markus, was ist das denn für eine Antwort! Man muss doch wissen, wie es seiner Freundin geht.»
    «Es wird ihr schon gutgehen. Wir unterhalten uns nicht ständig darüber. Also geh ich davon aus, dass alles in Ordnung ist. Symmetrie ist die Schönheit der Dummen.»
    «Was hast du gesagt?»
    Ich setzte noch einen drauf.
    «Modular zu denken heißt, in Lines zu denken. Steps. Deepthroat.»
    Ab und an muss man sich auch was gönnen. Oma guckte ratlos, und ich ließ Gnade vor Recht ergehen.
    «Also, ich hau mal ab.»
    «Und sie kommt Mittwoch doch auch mit?»
    Mittwoch, Mittwoch. Was war Mittwoch denn schon wieder?
    «Sag jetzt nicht, dass du das vergessen hast! Opa wird zweiundachtzig!»
    «Ach so, hab ich gerade nur nicht dran gedacht. Da kommen wir, so gegen vier.»
    Ich ging nochmal zum Großvater, verschwunden im Verdauen und Vergessen.
    «Tschüs, Opa.»
    Er hob die Hand, winkte und schaute ganz lieb, wie ein Bub, der gerade eine Kugelbahn gebaut hat. Ich bekam ein noch schlechteres Gewissen und gab ihm ein Küsschen auf die Wange.
    «Also dann.»
    «Tschüs, Markus. Und ruf mal an.»
     
    Ein kleines Stück vor der U-Bahn -Station hatte vor ein paar Wochen eine Dönerbude eröffnet und sich umgehend als zentraler Arbeitslosen- und Pennertreffpunkt etabliert. Den türkischen Besitzern schien das egal zu sein, sie hatten sogar ein paar abgegnabbelte weiße Plastiktische und -stühle aufgestellt; solange die Penner sich halbwegs anständig benahmen und ab und an Bier und Döner kauften, wurden sie geduldet.
    Vor drei Wochen dann das Unfassbare. Es bestand kein Zweifel, sie war es: Birgit Brunau. Fast zwanzig Jahre hatte ich sie nicht gesehen. Gemeinsam mit Petra Döberlin und Marina Zietz hatten wir uns damals zu einer Clique zusammengetan, drei Mädchen und ein Junge. Es war, zumindesthabe ich es so empfunden, die armseligste Clique der ganzen Gegend, ach was, der ganzen Welt. Petra und Marina befanden sich ungefähr auf einer Höhe (Aussehen, alles Mögliche), dann kam, wenn auch schon mit Abstand, Birgit Brunau, und die rote Laterne trug ich. Nach ein paar Monaten hatten sich Petra und Marina denn auch eine geilere Clique mit halbwegs geilen Typen gesucht. Um überhaupt jemanden zu haben, sah ich mich gezwungen, den eingeschlafenen Kontakt mit dem langweiligen Manfred Küsel wieder aufzunehmen.
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